Der Regisseur Tobias Ribitzki inszeniert Giuseppe Verdis letzte Oper Falstaff und lässt dabei unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinanderprallen.
Tobias, das Libretto zur Oper «Falstaff» von Arrigo Boito basiert auf Shakespeares Komödie «Die lustigen Weiber von Windsor» und Anteilen aus dessen Drama «Heinrich IV.» Verdi widmete sich mit dieser Oper gegen Ende seines Lebens noch einmal einem Stoff des von ihm ein Leben lang hoch verehrten englischen Renaissance-Dramatikers. Spiegelt sich Shakespeares Vorstellung vom Welttheater – also von der Bühne, die einer ganzen Welt Platz bietet, wie auch vom menschlichen Dasein, das metaphorisch als großes Theaterspiel begriffen werden kann – in deiner Inszenierung wider?
Tobias Ribitzki Das Spiel ist in der Oper Falstaff – wie auch in Shakespeares Werken – allgegenwärtig. Falstaffs Gegenwart bringt die übrigen Figuren dazu, in Rollen zu schlüpfen, Pläne zu schmieden und in die Tat umzusetzen. Er selbst bringt es im letzten Bild auf den Punkt: «Sie verspotten mich und sind noch stolz darauf. Doch ohne mich fehlte es ihrem Leben bei allem Hochmut an jeder Würze. Erst durch mich werdet ihr gewitzt. Mein Geist erweckt den euren.»
«Als Außenseiter steht Falstaffs Lebensentwurf
dem einer biederen und konservativen Gesellschaft
gegenüber, und dies führt zu Konflikten,
zu Kritik und auch zu Neid.»
Tobias Ribitzki, Regisseur
Dieses (Theater-)Spiel wird auch immer wieder als Spiel durchschaut und soll durchaus erkennbar bleiben. Der Grundraum für meine Inszenierung ist deshalb eine einfache Spielfläche: Die Bretter, die die Welt bedeuten können. Hier – im Spiel – ist alles möglich: Die Figuren beobachten sich teils gegenseitig, oder die vierte Wand wird durchbrochen – so nicht zuletzt in der meisterhaften Schlussfuge, die den Kommentar zum Stück beinhaltet.
Verdi wollte mit seinem «Falstaff» über eine bloße musikalische Farce und oberflächliche Situationskomik deutlich hinausgehen. Wo liegen für dich die Tiefendimensionen dieser Oper, die es auszuloten gilt?
Verdi und Boito wollten uns definitiv keine harmlose Komödie präsentieren. Die Figur des Falstaff gewinnt in ihrer Bearbeitung des Stoffes sogar noch an philosophischer Tiefe. Mit Falstaff wird ein Außenseiter vorgeführt. Sicherlich hat dieser zweifelhafte Moralvorstellungen, doch ist der Rest der Gesellschaft wirklich «besser»? Was ist das Motiv der anderen dafür, Falstaff zweifach zu bestrafen? Dies sind Fragen, die man durchaus stellen kann.
Falstaff ist ein den weltlichen Genüssen sehr zugewandter Charakter, was sich auch in seiner großen Leibesfülle widerspiegelt. Immer wieder macht er diese auch selbst zum Thema – sein «Schmerbauch», wie Verdi und Boito ihn liebevoll nannten, hat für Falstaff durchaus identitätsstiftende Bedeutung. Gleichzeitig betonte Verdi während der Entstehungszeit der Oper einmal: «Falstaff, der immer so viel Geist hat, darf kein fettleibiger Säufer sein.» Wie zeichnest du diesen alten, aus der Zeit gefallenen Ritter Sir John Falstaff in deiner Inszenierung?
Sicher ist Falstaffs Leibesfülle ein Zeichen für einen auf den Genuss ausgerichteten Lebensentwurf ohne Rücksicht auf Verluste – aber keinesfalls sollte man Falstaff nur darauf reduzieren, wie Verdi auch absolut richtig klarstellt. Er ist mehr! Als Außenseiter steht sein Lebensentwurf dem einer biederen und konservativen Gesellschaft gegenüber, und dies führt zu Konflikten, zu Kritik und auch zu Neid. Diese Außenseiterrolle wird bei uns auch optisch – über den Kontrast von Farbe (Falstaff) zu Nicht-Farbe – offensichtlich. Je mehr allerdings die Falstaff umgebenden Figuren zum Spiel animiert werden, sich öffnen, umso mehr wird auch an ihnen Farbe sichtbar, bis es schließlich zum großen Zusammenstoß des Einzelnen mit der Masse im 3. Akt kommt.
TEXT Thomas Schmidt-Ehrenberg