Zwischen Opfer und Täterin

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Dämonisiert, sexualisiert, skandalisiert. Kaum eine Frauenfigur hat durch die Jahrhunderte der Rezeptionsgeschichte so stark die Gemüter erregt wie Salome. Das Musikdrama von Richard Strauss ist längst ein Klassiker.

Salome war immer schon ein Mythos mit großer Strahl- aber auch Sprengkraft. Die biblische Erzählung um die Enthauptung Johannes‘ des Täufers auf Geheiß von Herodes‘ Stieftochter hat bildende Kunst, Literatur und Film bis zum heutigen Tag inspiriert. Die Oper von Richard Strauss basiert auf Oscar Wildes Drama, das am Ende des 19. Jahrhunderts der Handlung eine tiefenpsychologische Dimension verleiht. Salome lässt Johannes bzw. Jochanaan töten, weil der tiefreligiöse Prophet ihr Begehren und ihre Leidenschaft unerwidert lässt. Mit der Betonung ihrer Triebhaftigkeit und Monstrosität passt das Drama vorzüglich in die Hochphase der Décadence.

Strauss‘ Musikdrama wurde 1905 in Dresden uraufgeführt. KS Angela Denoke, die als Sängerin die Titelrolle bereits mehrmals verinnerlichen konnte, bringt Salome in Innsbruck als Regisseurin auf die Bühne.

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Warum bewegt das Musikdrama seit seinem Entstehen die Menschen, warum immer noch?

Angela Denoke: Aus meiner Sicht ist die Geschichte der Salome eigentlich nie zu Ende erzählt, denn es ist möglich, sie aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder neu zu interpretieren, neu zu denken. Diesen Raum lässt auch die Musik von Richard Strauss. Was uns bewegt, ist am Ende die Frage, wie wir uns selbst erfahren, wenn wir uns in die Rolle der Salome aber auch in anderen Figuren hineinversetzen. Denn, was uns die Oper offenbart, sind extreme Charaktere. Letztlich muss man ja nur die Zeitungen aufschlagen, um zu erkennen, dass Ähnliches um uns herum existiert.

Die Wahrnehmung bzw. Interpretation der Figur der Salome variiert im zeitlichen Kontext und unterliegt ständigem Wandel. Die Salome der Oper ist Femme fatale, Narzisstin, Monster, exotisch-erotische Projektion und manchmal sogar Heilige. Wen oder was stellt Salome für Sie dar?

Denoke: Salome ist vielleicht die Summe aller dieser Eigenschaften, in meiner derzeitigen Interpretation am ehesten ein missbrauchtes Opfer, das zur Täterin wird. Sie ist aber auch ein Kind an der Schwelle zur Frau, die sich vielleicht zum ersten Mal ihrer selbst bewusst wird und deren Sehnsüchte keine Erfüllung finden, weil sie in der Begegnung mit Jochanaan ins Leere laufen.

Gibt es Besonderheiten in der Inszenierung, vielleicht neue Zugänge?

Denoke: Es ist mir besonders wichtig, die Beziehung zwischen Salome und Jochanaan zu hinterfragen. Mich interessiert die Person des Jochanaan jenseits seiner hohlen religiösen Phrasen. Was für ein Mensch ist er, was passiert mit Salome und was passiert mit ihm während ihrer Begegnung? Durch diese Begegnung werden am Ende alle an ihren persönlichen Abgrund geführt.

„Man muss heraus aus der sängerischen Komfortzone,
hinein in das „Grenzen Sprengende“ dieser Oper.“

Angela Denoke

Wie ist das Bühnenbild gestaltet, was sind die Überlegungen dahinter?

Denoke: Das Bühnenbild zeigt keinen konkreten Raum. Wir sehen eine Treppe, die sowohl nach oben als auch nach unten in die Unendlichkeit führt. Durch die Drehbühne verändert sich zudem permanent die Perspektive, der Mond im Hintergrund ist ein Spiegel. Unsere Überlegungen für dieses Bühnenbild fließen in die Inszenierung ein, dennoch gibt es für jede*n Zuschauer*in den Raum für eigene Gedanken und Vorstellungen.

Wie würden Sie die Musik charakterisieren? Wie ist der Schleiertanz der Salome angelegt?

Denoke: Die Musik von Richard Strauss entfaltet hier eine unglaubliche Sogwirkung, man wird förmlich in die Handlung, in den Rausch der Musik hineingezogen. Hinzu kommen facettenreiche musikalische aber auch sprachliche Ausgestaltungen jeder Rolle dieser Oper. Der Tanz der sieben Schleier ist bei uns kein reiner Tanz, sondern mehr die Erzählung einer immer wiederkehrenden Erfahrung aus Sicht der Salome.

Hat sich Ihre Vita als renommierte Sängerin mit Salome-Erfahrung auf die Inszenierung ausgewirkt?

Denoke: Natürlich fließt meine Erfahrung als Gestalterin der Titelpartie in meine Arbeit als Regisseurin ein. Allerdings weniger bei der Interpretation dieser Oper als in der Möglichkeit, den Sänger*innen zu helfen, beispielsweise bei der Positionierung auf der Bühne und besonders bei der Überschreitung ihrer bisherigen Grenzen. Für eine Rolle wie die Salome, aber auch als Jochanaan, als Herodes, als Herodias muss man sich (denke ich) „entäußern“. Man muss heraus aus der sängerischen Komfortzone, hinein in das „Grenzen Sprengende“ dieser Oper. Jacquelyn Wagner verkörpert die seit jeher umstrittene Frauenfigur zwischen Opfer und Täterin, zwischen Monster und Heiliger.

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Wie ist Ihr persönliches Verhältnis zu Ihrer Rolle? Mögen Sie Salome?

Jacquelyn Wagner: Auf den ersten Blick erscheint Salome als verwöhnte Prinzessin, die so bösartig ist, dass die Ermordung einer Person sie erregt. Aber ich empfinde Mitgefühl und Sympathie für sie. Sie ist ein Opfer ihrer Umstände. Zu Jochanaan fand sie eine Verbindung, die sie noch nie zu einem anderen Menschen gehabt hatte. Ich denke, tief in ihrer Seele ist sie eine Frau, die nach echter Liebe und einer echten Bindung sucht. Sie ist eine sehr komplexe Persönlichkeit.

Was ist der besondere Reiz, die Salome zu singen?

Wagner: Die Musik! Es ist eine unglaubliche Musik! Salome zu werden, ist eine große Herausforderung. Die Verbindung der erstaunlichen musikalischen Sprache mit Salomes komplexer Persönlichkeit zu schaffen, macht diese Partie so interessant!

Was sind die größten Herausforderungen? Wie gestaltet sich der gesangliche, wie der schauspielerische Anspruch?

Wagner: Die größte Herausforderung ist, die beste Einheit aus gesundem Gesang und Schauspiel herzustellen, sodass das Publikum berührt wird. Ich muss eine Balance finden, die es mir erlaubt, die Musik so zu interpretieren, wie ich es stimmlich brauche und will, und zugleich darstellerisch so vollständig wie möglich zur Salome zu werden. Die Musik ist voller Akrobatik – von hoch bis tief, von Pianostellen bis zu Ausbrüchen. Salome wandelt sich von einem jungen Mädchen zu einer erfahrenen Verführerin, von einer verwöhnten Göre zu einer Meisterin im Manipulieren und endet schließlich als eine einsame, verlorene Person. Jochen Kupfer mimt den Propheten.

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Warum verschmäht Jochanaan Salome?

Jochen Kupfer: Jochanaan – Johannes der Täufer, Seher und religiöser Eiferer – und Salome, die sinnlich-liebessehnsüchtige Prinzessin, sind maximal gegensätzliche Charaktere, die einander in einer Extremsituation begegnen. Jochanaan kann und will seine Glaubenssätze nicht aufgeben. So ist die einzig mögliche Reaktion für ihn radikale Askese, trotz und gerade wegen seiner Hingezogenheit zu Prinzessin Salome.

Was ist Jochanaan für ein Charakter? Wie bringen Sie diesen zum Ausdruck?

Kupfer: Jochanaan ist barmherzig-gnädiger Prophet und zugleich extremer Verfechter seiner religiösen Überzeugungen. „… ich höre nur auf die Stimme des Herrn, meines Gottes.“ Dieses Lebensmotto und Glaubensbekenntnis lässt ihn bis zuletzt Salome widerstehen. Genau das hören wir in Jochanaans Musik – wie in Stein gemeißelte, heroisch-archaisch-dogmatisch geschmetterte Worte. Aber gleichzeitig eine unglaublich vielfältige Musik mit höchsten Spitzentönen, tiefen Lagen, maximalen dynamischen Kontrasten und rhythmischer Vielschichtigkeit. Jochanaan ist für mich eine „Traumpartie“. Es ist eine schwierige und zugleich dankbare Aufgabe, die sich anfühlt wie „gemacht für meine Stimme“. Ich freue mich sehr, dass ich die Partie mit diesem wunderbaren Team in Innsbruck singen kann.

Interview: Martin Lugger
Fotos: Birgit Gufler


Salome

Musikdrama von Richard Strauss. Text nach Oscar Wildes
gleichnamigem Drama in der vom Komponisten gekürzten
deutschen Übersetzung von Hedwig Lachmann

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