VORHANG AUF FÜR UNSERE ERSTE GEMEINSAME THEATERSAISON

Ein Gespräch mit Irene Girkinger, der neuen Geschäftsführenden Intendantin, und Dr. Markus Lutz, dem Geschäftsführenden Kaufmännischen Direktor.

Worin lag der Reiz, die künstlerische Leitung des TLT zu übernehmen?
Irene Girkinger Das Tiroler Landestheater bietet als Mehrspartenhaus die Möglichkeit für eine vielseitige Programmgestaltung. Mich interessiert insbesondere die Multidisziplinarität,
also ein expliziteres Miteinander von Schauspiel, Tanz, Musik oder der visuellen Künste. Auch geht es für mich darum, dass die Kunst ihre Kraft mit größter Wirkung in der Gesellschaft vor Ort entfalten kann. Es ist wichtig, das TLT weiter zu öffnen und zu einem lebendigen Ort der Begegnung zu machen. Ich verstehe das Landestheater als europäisches Landestheater und erachte es als große Chance, dass Tirol an der Schnittstelle verschiedener Kulturräume liegt. Im Austausch mit lokalen und internationalen Kulturträgern liegt enormes Potenzial – und hier gibt es viel zu entdecken!

Wie sehen Sie Ihre Rolle als kaufmännischer Direktor in der Doppelspitze mit der Intendantin und wie läuft die Zusammenarbeit in der Geschäftsführung ab?
Markus Lutz Gerard Mortier, der ehemalige Intendant der Salzburger Festspiele, hat einmal gesagt: «Kulturmanagement heißt nicht Management der Kultur, sondern Management für die Kultur». In diesem Sinne versuche ich den Betrieb zu führen, und die Kolleg:innen im kaufmännischen und technischen Bereich sehen sich als Dienstleistende. Ein Theaterbetrieb unserer Größe kann nur funktionieren, wenn die Zusammenarbeit zwischen künstlerischem und kaufmännischem / technischem Bereich funktioniert. Man kann es mit einer Seilschaft beim Bergsteigen vergleichen: Den Gipfel schafft man nur gemeinsam. Der Job des Kaufmanns ist es, den Aufstieg abzusichern und darauf zu schauen, dass sich alles in guten Bahnen bewegt.
Irene Girkinger … und der Weg zum Gipfel ist manchmal ganz schön steil! Da ist Absicherung in Form von guter Zusammenarbeit in der Geschäftsführung sehr wichtig. Ich versuche, das spannendste künstlerische Programm in Abstimmung mit den budgetären und organisatorischen Möglichkeiten zu entwickeln. Das geht nur, wenn alle auf und hinter der Bühne an einem Strang ziehen und gemeinsam Verantwortung übernehmen.

Es gilt also «Doppelte Kraft voraus!», gibt es doch neben der Theaterleitung auch Doppelspitzen in der Leitung der einzelnen Sparten. Warum?
Irene Girkinger Ich setze in der Leitung der Sparten Musiktheater, Schauspiel und Tanz auf ein kollektives Modell mit Co-Leitungen, ebenso im Jungen Theater, das ab dieser Spielzeit eine eigene Sparte ist. Die Direktor:innen kommen aus dem Regie- und Dramaturgiebereich und bringen viel Erfahrung in der eigenen Sparte, aber auch in den jeweils anderen mit. Die Produktionen werden generell in einem inhaltlichen, thematischen und stilistischen Zusammenhang stehen. Ich bin überzeugt, dass dieses Team die geplanten
Schwerpunkte – spartenübergreifendes Arbeiten, regionale und internationale Vernetzung sowie Förderung des künstlerischen Nachwuchses – perfekt umsetzen wird.

Diversität am Theater: Welche Bedeutung hat dieses Thema und wie kann man für eine größere kulturelle Vielfalt sorgen?
Irene Girkinger Als Kulturinstitution haben wir die große Verantwortung, die Gesellschaft in ihrer ganzen Diversität zusammenzubringen. Das beginnt bei einem höheren Anteil
von Frauen in Entscheidungspositionen, reicht über mehr Diversität in kreativen Teams und Ensembles bis hin zu auf der Bühne gezeigten verschiedenen Perspektiven. Es ist ein herausforderndes Thema auf vielen Ebenen, das aber gleichzeitig viele künstlerische Möglichkeiten eröffnet: Goethes Faust, der in Gebärdensprache kommuniziert? Shakespeares Julia als Person of Color? Warum nicht?

Wie bringt man Jung und Alt sowie treue Abonnent:innen und neues Publikum an einem Ort zusammen?
Markus Lutz Wir haben einen Kultur- und Bildungsauftrag zu erfüllen, mit dem Ziel, ein möglichst breites Publikum mit Theater in Berührung zu bringen. Das Freizeitangebot hat
sich in den vergangenen Jahren jedoch enorm vervielfacht, die Konkurrenz für das Theater ist dadurch stark gewachsen. Das Kinder- und Jugendprogramm wird nun weiter ausgebaut. Je früher Menschen mit dem Theater in Kontakt kommen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie dem Theater auch im Erwachsenenalter treu bleiben. Ich bin ein großer Fan des Abonnements. Für unsere Besucher:innen ist es eine Möglichkeit, regelmäßig ins Theater zu gehen, eine große Bandbreite des Repertoires kennenzulernen und zudem unbekannte Stücke zu sehen.
Irene Girkinger Es ist eine große Herausforderung, Menschen zu begeistern, die nicht ins Theater gehen oder schon lange nicht mehr im Theater waren. Wir möchten  Schwellenängste abbauen und auch benachteiligten Bevölkerungsgruppen Zugang zu Theater ermöglichen. Wir setzen auf eine breite Palette des Neugierigmachens – niederschwellige Formate, verstärkte Vermittlungsarbeit, Präsenz im öffentlichen Raum. Es ist mir außerdem wichtig, einen Spielplan zu präsentieren, der gesellschaftspolitische Diskurse aufgreift und Themen der Region auf die Bühne bringt – das TLT ist für alle da!

Wie ist Erfolg messbar – am Applaus oder an der Auslastung?
Markus Lutz Natürlich muss ich auf Zahlen schauen, aber ich arbeite ja nicht in der Privatwirtschaft, wo das vordergründige Ziel eine Gewinnmaximierung ist. Als öffentliches Landestheater mit Kultur- und Bildungsauftrag müssen wir es uns leisten, neben sehr gut besuchten Stücken auch sperrige Stoffe zu zeigen, die vordergründig keine Verkaufsrenner sind. Unser Abosystem trägt wesentlich zur Grundauslastung bei und beinhaltet auch weniger bekannte Produktionen. Für mich ist der künstlerische und wirtschaftliche Gesamterfolg das Wichtigste.

Was fasziniert Sie am Theaterbetrieb?
Markus Lutz Bei uns am Haus arbeiten 450 Menschen aus 48 Nationen in über 100 unterschiedlichen Berufen mit ganz verschiedenen Sozialisationen. Es ist eigentlich ein
Ding der Unmöglichkeit, dass es all diese Menschen zusammen schaffen, jeden Abend den «Lappen» hochgehen zu lassen. Innerhalb weniger Wochen eine Produktion in Gemeinschaftsleistung zur Premiere zu bringen – das ist etwas Einmaliges und Magisches, und das liebe ich am Theater.

Was war bislang Ihr schönstes Theatererlebnis?
Irene Girkinger Da gibt es natürlich viele – ich nenne zwei: Luk Percevals Schlachten bei den Salzburger Festspielen, ein 12-Stunden-Marathon aller Königsdramen von Shakespeare. Der Sog dieses wort- und bildmächtigen Theatererlebnisses ließ mich die Zeit vergessen. Und das dokumentarische Theaterprojekt Option: Spuren der Erinnerung,
das wir an den Vereinigten Bühnen Bozen mit Zeitzeug:innen gemacht haben. Das Theater hat damit einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung eines schwierigen Kapitels der Südtiroler Zeitgeschichte geleistet. Es sind danach Menschen wieder aufeinander zugegangen, die jahrelang nicht miteinander gesprochen haben.

video - Titelbild

Bereit für die Spielzeit 23/24 (v. l. n. r.): Uschi Oberleiter (Co-Direktorin Junges Theater), Marcel Leemann (Co-Direktor Tanz), Laura Nöbauer (Co-Direktorin Junges Theater), Bettina Bruinier, Elisabeth Schack (Co-Direktorinnen Schauspiel), Dr. Markus Lutz (Geschäftsführender Kaufmännischer Direktor), Wolfgang Laubichler (Direktor Haus der Musik Innsbruck), Irene Girkinger (Geschäftsführende Intendantin), Jasmina Hadžiahmetović (Co-Direktorin Musiktheater), Alexander Egger (Technischer Direktor), Katharina Duda (Co-Direktorin Musiktheater) und Stefan Späti (Co-Direktor Tanz).


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