Überbordender Irrsinn in Glam-Rock

Paul Spittler, Regisseur der Rocky Horror Show, bei der Bauprobe im Großen Haus © Raphael Gutleben Paul Spittler, Regisseur der Rocky Horror Show, bei der Bauprobe im Großen Haus

Bei der Uraufführung konnte niemand ahnen, was für ein weltweiter Kult gerade entstanden war. Regisseur Paul Spittler über Geschichte und Gegenwart der Rocky Horror Show und des schillernden Despoten in deren Zentrum.

Seit über 50 Jahren auf der Bühne – die «Rocky Horror Show» ist Legende. Lieber Paul, wo liegen die Wurzeln des Welthits?

Paul Spittler  Die Geschichte ist ziemlich einzigartig. Die Uraufführung fand 1973 zwar im berühmten Royal Court Theater in London statt, aber auf einer winzigen Studiobühne vor nur 63 Zuschauer:innen. Erst später kamen größere Bühnen, schließlich sieben Jahre im Londoner Westend. Österreich musste bis 1983 auf eine Erstaufführung warten. Es ist eben kein Disney-Musical, sondern etwas viel Lüsterneres, Verbotenes, Gefährliches. Es spielt mit Sexualität, mit Geschlecht, mit Perversion, mit Fetischen und Freiheitsbegriffen, für die viele damals (und manche heute noch) nicht bereit waren.

Was bedeutet dieser Ursprung für eine Inszenierung 2025?

Man kann sich schon ein wenig auf diesen Kultstatus verlassen, muss aber auch ein wenig Staub von der glänzenden Oberfläche pusten. Sind Queers heute wirklich noch die exotischen Aliens, als die sie in der Glam-Rock-Ära gezeichnet wurden? Wie erzählen wir sexuelle und geschlechtliche Befreiung, Selbstbestimmung und Lustprinzipien heute? 

Gut gemachtes Musical darf kitschig sein. Das liebe ich natürlich!

Lässt sich schon erahnen: Frank’n’Furters Schloss für die TLT-Bühne © Raphael Gutleben Lässt sich schon erahnen: Frank’n’Furters Schloss für die TLT-Bühne

Frank’n’Furter ist ein gewaltbereiter Despot, aber auch extrem sexy. Wie siehst du diese Figur und die Welt, die er sich geschaffen hat?

Frank’n’Furter ist das schillernde Zentrum eines überbordenden Irrsinns: ein Fabelwesen, eine sexy Fee und eine böse Hexe, ein Diktator und ein Gönner. Er ist ein einziger Widerspruch, verrücktes Genie, unglaublich manipulativ und enorm anziehend. Und das Schlimme (oder Faszinierende): seine Jünger:innen machen alles mit! Eingenommen von seinem schillernden Charisma hinterfragen sie kaum, warum Frank lügt, betrügt und sogar mordet. Es gehört dazu, “der ist halt so” – ein bekanntes Muster von und gegenüber Machtmenschen, das wir bis heute beobachten können. 

Was macht für dich Musical als Genre aus? 

Musik ist ein wunderbares Schmiermittel für schwierige oder brenzlige Themen – einfach weil uns die Musik ablenkt vom rationalen Nachdenken und hinlenkt zu einer emotionalen Wahrnehmung, die Irrationalität zulässt. Das Genre Musical setzt dieses Prinzip noch direkter um, mit populären, einfacheren Melodien, die dahin zielen, wo sie wahrgenommen werden sollen – im Falle der Rocky Horror Show irgendwo zwischen Zwerchfell, Magengrube, Intimbereich und zentralem Nervensystem. Zudem darf gut gemachtes Musical etwas, das z.B. reines Sprechtheater nicht oft darf: kitschig sein. Und das liebe ich natürlich!