Überfließende Emotionen und Tanzlust

Von Heimat und Tänzen © Raphael Gutleben Giorgia Doria, Sarah Merler, Letizia Pignard, Olivia Swintek

«Sind Tänze die schöneren Sätze?» Dieser Spruch aus der Sammlung der TLT-Werbekampagne freut die Tanzsparte ganz besonders und wir finden ihn in vielerlei Hinsicht zutreffend: Tänze sind individuell verkörperte Wahrheiten und trotzdem frei interpretierbar. Leibhaftig zu erleben ist das in der kommenden Tanzproduktion im Großen Haus.

 

Von Heimat und Tänzen verbindet Tradition mit Moderne und beleuchtet unterschiedliche Tanzstile aus verschiedenen Welten. Die Mitglieder des international aufgestellten Tanzensembles bringen eigene Geschichten und Choreografien von tänzerischen Traditionen ihrer Heimat mit. Nun gilt es, diese Spezialitäten zu bündeln und zusammen mit der Rahmenhandlung auf die Bühne zu bringen. Und schon sind wir mitten im Stück: Die 17 Tänzer:innen beschließen, einen Verein zu gründen – einen Verein, bei dem jede:r willkommen ist. Es braucht weder besondere Fähigkeiten noch Zugehörigkeiten, um aufgenommen zu werden. Einzig Fantasie, Freude am Tanz und an der Gemeinsamkeit – und natürlich an der Musik. Langsam entwickelt sich aus dieser Grundsituation ein großes Fest, das in einem universellen, völkerverbindenden Tanzritual gipfelt, konstant angetrieben von der virtuosen Livemusik. Vieles hat hier seinen Platz: überfließende Emotionen, Feierlaune, Verliebtheit, Streit und Versöhnung. Über der Bühne hängt ein großes, luftiges Festzelt, das wie eine Wetterwolke über dem Geschehen thront und die Stimmungen befeuert. Darunter ein Tanzboden, Bierbänke und weitere traditionelle Objekte wie Melkstühle und Milchkannen. Auch eine Partie Seilziehen hat im Geschehen seinen Platz – und ein Kräftemessen in Schwinghosen (ja, auch für eine Tradition aus der Schweiz muss Platz sein …!).

Von Heimat und Tänzen © Raphael Gutleben Giorgia Doria, Sarah Merler, Letizia Pignard, Olivia Swintek

Vorbereitung, Hintergrund und Team

Schon in den ersten Vorproben vor der Sommerpause im Juli zeigte sich bei den Tänzer:innen, wie vielschichtig das Thema Heimat in ihren Körpern und Erinnerungen verankert ist. In einem Workshop erhielten sie Fragen zur Kontemplation: «Was bedeutet Heimat für euch?», «Welche Werte und Emotionen weckt der Begriff in euch?», «Wie würdet ihr euer eigenes Heimat- und Traditionsverständnis anhand von Bewegung und Gesten ausdrücken?» – Fragen, die die Tänzer:innen über den Sommer in ihren jeweiligen Heimatländern recherchiert haben und die nun in den Herbstproben weiter vertieft werden.

Neue Klangräume öffnen sich durch Kompositionen von Christof Dienz, der eigens für dieses Stück Musik schreibt. Er und seine Musikkolleg:innen aus der Formation «Die Knödel» Alexandra Dienz, Chris Norz und Walter Seebacher werden bei jeder Vorstellung den Zuschauerraum des Großen Hauses mit ihrer live gespielten Musik zum Schwingen bringen. Als besondere Gäste bringen mehrere Blasmusiker:innen der Stadtmusikkapelle Amras ihre Tradition mit ein und mischen sich mit gezielten Auftritten unter Tänzer:innen und Livemusiker: innen. Unterschiedliche Welten stoßen aufeinander, beschnuppern sich und beginnen, einander zu inspirieren. Beim «Tatää – ein Fest am Platz» im September, bei dem das TLT seine Türen öffnete und die neue Saison vorstellte, wurden erste Ausschnitte gezeigt. Dabei wurde die Auseinandersetzung mit den Traditionen vor Ort sichtbar. Mittels eines riesigen, choreografierten Umzugs auf dem Rennweg und dem Theatervorplatz wurde die Brücke zwischen Volkskunstmuseum, Landestheater und Passant:innen geschlagen («Es tanzen alle!»), und beim kurzen Auftritt auf der Bühne verschmolzen die Amraser Volkstanzgruppe und die Blasmusikkapelle Amras mit dem Tanzensemble des Landes-theaters zu einer lebendigen Gruppe. Das passt genau zum Konzept: Alte und neue Formen begegnen sich, reiben sich und schaffen dadurch etwas Neues. Das nötige Recherchematerial für diese Reise lieferten das Tiroler Volksliedwerk und Sonja Ortner.

© Raphael Gutleben Marcel Leemann & Simon Mayer

Eine zentrale Quelle der Tanzproduktion ist die Zusammenarbeit von Marcel Leemann und Simon Mayer. Marcel bringt seine Erfahrung als Choreograf und künstlerischer Leiter am Haus ein – mit Gespür für Struktur und kreative Prozesse in der Zusammenarbeit mit Musiker:innen. Simon greift auf seine Expertise in der Kunst des Feierns, in partizipativen Großprojekten mit Communities und Vereinen sowie die Auseinandersetzung mit Heimat und Tradition zurück – verbunden mit Offenheit für Transformation, Rhythmus und kollektive Lebendigkeit. Die Dramaturgie liegt in den Händen von Stefan Späti und Karoline Wibmer. Stefan verantwortet sie aus dem Haus heraus, steuert seine Erfahrung im Theatersystem und einen klaren Blick für künstlerische Rahmung, Struktur und Kontextualisierung bei. Karoline ergänzt diese Perspektive durch ihre Erfahrung in co-kreativen Prozessen und in der Zusammenarbeit mit Simon Mayer. Ihr Schwerpunkt liegt auf partizipativen Arbeitsweisen, Team-Care und einem traumainformierten Blick – besonders wertvoll bei Themen wie Heimat und Tradition. Ein wichtiger Teil des Entstehungsprozesses liegt wie immer beim Tanzensemble, den Tänzerinnen und Tänzern, die letztlich auch auf der Bühne zu sehen sein werden. Ihre Kreativität, Mitentwicklung und ihr künstlerischer Input werden zu unverzichtbaren Bausteinen für diese vielschichtige, interdisziplinäre Tanzproduktion. So wächst in den Proben ein «neues Dorf»: Jede und jeder bringt die eigene Herkunft, Tradition und Ausdrucksform ein – eine Ansammlung an wertvollen, immateriellen Schätzen, die zu einem tänzerischen Fest der Co-Existenz Marcel Leemann & Simon Mayer und Vielfalt verschmelzen.

 

TEXT Karoline Wibmer & Stefan Späti
BILD Raphael Gutleben