Inhalt
Boris Godunow gilt als eine schillernde Gestalt in der russischen Geschichte. Er wird als gleichermaßen intelligent wie machthungrig beschrieben. Als er 1598 als Nachfolger von Fjodor I. den Zarenthron bestieg, kamen sofort Gerüchte auf, er habe den rechtmäßigen Thronfolger Dimitri ermorden lassen, um selbst an die Macht zu gelangen. Dieses Szenarium greift Modest Mussorgsky in seiner Opernversion auf. Er zeigt, wie Boris – von Schuld verfolgt und zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn schwankend – die Macht zwischen den Fingern zerrinnt. So wird der Weg frei für den Novizen Grigori. Er nimmt in der Absicht, den Tod des Zarewitsch Dimitri zu rächen, dessen Identität an und sammelt Truppen um sich, um den angeblichen Mörder Boris vom Thron zu stürzen.
Neben dem Titelhelden steht in Boris Godunow das russische Volk im Zentrum, und so beeindruckt das Werk durch imposante Chortableaus. Darüber hinaus zeichnet sich die Komposition durch nationales Melos mit Anklängen an die russische Volksmusik aus. Durch eine raue Klangsprache gelang Mussorgsky ein treffendes Abbild des brutalen Spiels um die Macht.
Das Werk, das noch nicht am Tiroler Landestheater zu erleben war, kommt in der 1869 entstandenen Urfassung zur Aufführung. Nachdem der Regisseur und Bühnenbildner Thaddeus Strassberger das Publikum in der vergangenen Spielzeit mit seiner tief unter die Haut gehenden Inszenierung von Werther in eine amerikanische Kleinstadt entführt hat, widmet er sich nun der Welt der russischen Zaren.
Die feinsten Wesenszüge der Natur des Menschen und der Menschenmassen, das intensive Beackern dieser wenig erforschten Länder und ihre Eroberung – darin besteht die wahre Mission des Künstlers.
MODEST P. MUSSORGSKY
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Besetzung
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Boris Godunow
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Feodor
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Xenia
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Xenias Amme / Schankwirtin
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Fürst Wassili Schuiski
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Andrei Schtschelkalow
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Grigori Otrepjew
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Pimen
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Warlaam
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Missail / Leibbojar
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Gottesnarr
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Mikitisch, Polizeihauptmann
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Mitjucha
Chor, Extrachor und Kinderchor des Tiroler Landestheaters Innsbruck
Statisterie des Tiroler Landestheaters Innsbruck
Pressestimmen
Bayerischer Rundfunk
Der amerikanische Regisseur Thaddeus Strassberger [hat] am Tiroler Landestheater in Innsbruck wirklich alles richtig gemacht bei seiner Inszenierung von Modest Mussorgskys düsterem Zaren-Drama „Boris Godunow“. Er nahm es ernst, er scheute sich nicht vor dem Pathos.
[…] Es wäre also ein Leichtes gewesen, die Bilder entsprechend zu aktualisieren, womöglich Putin persönlich als Zar auftreten zu lassen. Gut, dass Thaddeus Strassberger auf diese Art Ironie verzichtete und als sein eigener Ausstatter auf bildstarke, zeitlose Russland-Symbole setzte.
[…] Im Grunde passt „Boris Godunow“ über den Aufstieg und Fall eines Diktators viel eher zur Gegenwart als Prokofjews „Krieg und Frieden“, eine Oper, die mit ihrem nationalistischen Furor kürzlich an der Bayerischen Staatsoper in München für widersprüchliche Reaktionen sorgte.
Dirigent Oliver von Dohnányi legte viel Herzblut in seine Interpretation, scheute also ebenfalls kein Pathos. Dasselbe galt für den viel beschäftigten Chor und die 14 Solisten, allen voran der bulgarische Bass Ivo Stanchev in der Titelrolle und der polnische Tenor Łukasz Załęski als intriganter Fürst Schuiski.
Tiroler Tageszeitung
Wenn man an Russland und russische Kunst denkt (oder darüber schreibt), verfällt man gerne in Klischees. Man sucht die Schwermütigkeit. Automatisch. Strassberger bedient diese Klischees zwar, aber er macht das geschickt. Da erstrahlt das Bühnenbild (von ihm selbst entworfen) golden oder versinkt in düsterer Stimmung, die einen erschaudern lässt. Kraftvolle und bewegende Szenen mit einem Schuss Hollywood, gewürzt mit vielen technischen Tricks, spielen sich da auf der Bühne ab. […]
Es war eine Premiere mit großen Solo-Stimmen sowie hervorragenden Leistungen des Chors, des Kinderchors und der Musikerinnen und Musiker des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck. Der bulgarische Bass Ivo Stanchev berührte als Boris Godunow mit dessen Ringen zwischen Wahnsinn und dem Traum von der Macht, aber auch dessen Kampf gegen Verleumdung und die Intrigen von Fürst Wassili Schuiski (hervorragend gesungen vom polnischen Tenor Łukas Załęski). […] Oliver von Dohnányi am Dirigentenpult fand die richtigen Tempi und eine aufwühlende, mitreißende Interpretation.
Krone
Ivo Stanchev ist ein eindrucksvoller Boris, stimmlich und schauspielerisch passt diese Rolle zu ihm. Johannes Maria Wimmer gibt [den Mönch Pimen,] diesen asketischen Visionär voll und ganz überzeugend; auch Florian Stern ist als Novize Grigori Otrepjew eine erstklassige Besetzung, ebenso Joachim Seipp als trunksüchtiger entlaufener Mönch Warlaam, Łukasz Zalęski als zwielichtiger Fürst Schuiski und Alec Avedissian als Duma-Sekretär. Extralob verdient Dale Albright als dämonisch abgründiger Gottesnarr. […] Unbedingt muss aber der von Michel Roberge exzellent einstudierte Chor hervorgehoben werden. […] Die Regie von Thaddeus Strassberger, der auch für Bühne, Kostüme und Video verantwortlich zeichnet, macht die Aufführung zu einem nie seichten Augenschmaus. Aber auch ein Hörvergnügen ist garantiert, zumal das Orchester unter der Stabführung von Oliver von Dohnányi so klangsinnlich und differenziert spielt wie selten.
Online Merker
Unglaublich, zu welcher Spitzenleistung der Dirigent Oliver von Dohnányi das hochmotivierte, an allen Pulten vorzüglich besetzte Tiroler Symphonieorchester Innsbruck beflügeln konnte. Da passte jeder Ton, der Spannungsaufbau war stets gegeben, die Solisten und der Chor wurden nie zugedeckt. […] Angestachelt von dem großartigen orchestralen Unterbau präsentierten sich auch die Chöre (Chor, Extrachor und Kinderchor des TLT) in bestechender Form. […] Mit der Verpflichtung des aus Bulgarien stammenden Bassisten Ivo Stanchev gelang dem TLT ein weiterer Glücksgriff. Ein noch junger Sänger mit prächtigem, bestens ausgebildetem Stimmmaterial war zu entdecken, der auch als Bühnenpersönlichkeit stets präsent beeindrucken konnte. […] Großen Eindruck hinterließen die drei Tenöre Łukasz Załęski (Fürst Schuiski), Florian Stern (Grigori) und vor allem der verdiente Dale Albright als berührender Gottesnarr. […] Verdienten Publikumszuspruch holten sich auch der stets prägnante, bühnenbeherrschende Joachim Seipp (Warlaam), der […] glänzende Johannes Maria Wimmer (Pimen) sowie der vorzügliche Alec Avedissian (Schtschelkalow). […] Der an allen großen Opernbühnen erfolgreiche […] Thaddeus Strassberger verzichtete in seiner Arbeit als Regisseur und Ausstatter auf Tagespolitik und schuf ein zeitloses Sittenbild einer „Zeit der Wirren“. Der Künstler versteht es immer wieder, ein der Handlung angepasstes, bildstarkes Kolorit auf die Bühne zu stellen. Russland in seiner ganzen Pracht, aber auch in seinem Elend wird dem Zuschauer vorgeführt.
Münchner Merkur
[Regisseur] Strassberger spielt hier mit den Zeitebenen, historischen Versatzstücken und manchmal auch mit Klischees. […] In diesem Russland, so wird vorgeführt, hat sich wenig verändert. Strassbergers Stilmix destilliert Kontinuitäten heraus. Die Macht der Kirche ist ungebrochen. Und die der mächtigen, intriganten Häuflein, die um die jeweiligen Herrscher schleichen, sowieso – vielleicht bekommt das der aktuelle bald zu spüren. […] Dass es dabei ohne Pathos und Statuarik nicht abgeht, liegt in der Natur des Werks. […] Damit das funktioniert, braucht es Personal mit Ausstrahlung. Und über das verfügt das Tiroler Landestheater. Angefangen vom jugendlichen Ivo Stanchev, der die Titelrolle in sonores Dunkelgrau färbt, über Łukasz Załęski als ein klischeebefreiter, endlich mal nicht tenoral keifender Schuiski bis zu Florian Stern, der den Grigori als auch vokal agilen Halbstarken gibt. Joachim Seipp dreht als Wandermönch Warlaam mächtig auf. Und für den Gottesnarren hat sich Strassberger Faszinierendes ausgedacht: […] Dale Albright macht daraus eine so eindrückliche wie rätselhafte Studie.
Erstmals wird am Tiroler Landestheater der „Boris“ gestemmt. Auch Dirigent Oliver von Dohnányi ist es zu danken, dass dabei das Dach des Landestheaters nicht wegfliegt. Wucht und Imponiergesten der Partitur, so hört man, müssen nicht gleichbedeutend sein mit Phonstärke. Viele Details der Instrumentierung treten hervor, die Massivität der üblicherweise größeren Besetzung wird beim Tiroler Symphonieorchester nicht vermisst. Überhaupt kommt es zu sehr klangbewussten Mini-Momenten, die manchmal mehr über die dramatische Situation sagen als die große Ensemble-Walze.