Doris Uhlich im Gespräch über SONNE

Ob wir den Fernseher aufdrehen, Radio hören oder auf Social Media scrollen: Es gibt kein Thema, das den Alltag so beherrscht wie die Klimakrise. Im Juli wurde der global heißeste Tag seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen. Bei einem Stück mit dem Titel SONNE kommt man nicht umhin, an all diese Meldungen zu denken. Gab es einen konkreten Ausgangspunkt für deine Arbeit?

Doris Uhlich: Das Thema der Klimakrise rückt immer näher an uns heran. Jeder spürt sie, jeder sieht sie, sie ist sozusagen sonnenklar. Was mich aber prinzipiell beschäftigt, ist, wie sich unsere Beziehung zur Sonne verändert hat. Als Kind hatte ich zu ihr eine komplett andere Beziehung als jetzt. Das hat natürlich damit zu tun, wie ich aufgewachsen bin: In den 1980er- und 1990er-Jahren, als ich Kind und Jugendliche war, hatte man das Gefühl eines unaufhörlichen Wachstums. Man hat kaum Müll getrennt und sich mit Sonnenöl ohne Lichtschutzfaktor in die Sonne gelegt. Es gab noch kein Internet. In dem Sinne waren wir auch wenig vernetzt und konnten nicht so einfach über den Tellerrand schauen. Als Kind habe ich die «Wolken», die aus den Fabriken kamen, zum Teil schöner empfunden als echte Wolken. Der Klimawandel wurde als Thema lange Zeit ausgeklammert. 2019 kam dieser extrem heiße Sommer, in dem es in Österreich kaum Niederschlag gab. Im darauffolgenden Herbst fegte ein Sturm in der Nähe des Attersees den Wald meiner Kindheit weg. Alle Bäume knickten um, weil sie keine Ressourcen mehr hatten. Für mich war das ein irrer, fast traumatischer Moment, in dem für mich alles Sinn gemacht hat. Ich wollte dieses Projekt so schnell wie möglich starten.

Trotz der klaren Faktenlage gibt es nach wie vor viele Skeptiker:innen, die den Klimawandel als erfundenes Phänomen darstellen. Finden solche Kontroversen Eingang in deine Arbeit?

Solche Haltungen sind für mich unverständlich. Realitätsverleugnung ist keine Kontroverse.

Mit welchen Quellen hast du gearbeitet?

Neben der allgemeinen Internetrecherche war Der symbiotische Planet von Lynn Margulis inspirierend. Schon davor habe ich viel über das Anthropozän gelesen, unter anderem von Donna Haraway, und Xenogenesis Trilogie von Octavia Butler. Auch Science-Fiction hat mich interessiert wie Der Schnitt durch die Sonne von Dietmar Dath, Trisolaris von Cixin Liu, 2312 von Kim Stanley Robinson sowie Filme, in denen die Figuren versuchen, zur Sonne zu fliegen. Und nicht zu vergessen Lars von Triers Melancholia. Weiters Sonnendarstellungen in der Kulturgeschichte, Mythologie und bildenden Kunst. Irgendwann gab es den Moment, an dem die Sonne ein Gesicht bekam – immer ein lächelndes. Auch Kinder malen die Sonne mit Pünktchen und Strahlemund. Und dann habe ich mit Astrophysiker:innen gesprochen, also jenen Leuten, die Richtung Sonne schauen und analysieren, was auf diesem Gas- und Plasmakörper vor sich geht. Es war spannend zu erfahren, wie sich die Sonne aufbaut oder dass sie zum Beispiel einen 11-jährigen Rhythmus hat.

Hat dich dabei irgendetwas überrascht?

Ja. In dem Buch Die Sonne von Richard Cohen hat mich die Geschichte der Sonnenflecken fasziniert. Die Sonne ist nicht nur «rein» und «schön». Als die Wissenschaft die Flecken entdeckte, hat die Kirche protestiert, denn das passte gar nicht in das Bild der «unbefleckten» Sonne. Schon im 17. Jahrhundert hat man der Wissenschaft nicht vertraut und nicht zugehört.

Mit welchem Bewegungsmaterial hast du dich dem Thema genähert?

Wie performt Doris Uhlich die Sonne? Ein Himmelskörper bewegt sich anders als der Mensch oder ein anderes Lebewesen auf der Erde. Rotation, Ruhe, die Beständigkeit einer Existenz – all das hat mich körperlich interessiert. Und natürlich auch Eruptionen, Massenausbrüche, Plasmastöße, Plasmaloops … als Tänzerin versucht man all das im eigenen Körper zu übersetzen. Auch tanzgeschichtliche Interpretationen habe ich mir angeschaut. Welche Menschen haben schon einmal als Sonne getanzt? Oder sich selbst als Sonne auf Erden bezeichnet? König Ludwig XIV. hat sich diesen Stern einfach angeeignet und damit bekundet, dass er über allen anderen steht. Eine ziemliche Anmaßung. Es gibt Bewegungsrecherchen zu ihm oder den Kinofilm Le Roi danse (Der König tanzt). Dort tritt er – wie die Sonne – von unten oder oben auf die Bühne, wofür er sich extra Maschinen bauen ließ.

Wie fühlt es sich für dich an, die Sonne zu performen?

Ich bleibe immer Doris, die sich dem Ganzen tänzerisch annähert. In meiner Fantasie gibt es einen Aspekt, der mich immer fasziniert hat: Die Sonne ist per se nicht aggressiv. Ich glaube nicht, und es ist natürlich immer meine Interpretation, dass sie aggressiv auf die Erde einwirken möchte. Das Problem ist die schwindende Ozonschicht, die ihre Strahlung auf die Erde destruktiv macht. Wenn wir Menschen sagen, dass «die Sonne heute so aggressiv ist», dann schieben wir das Thema wieder woanders hin – nämlich zum Himmelskörper. Man schaut nicht auf die eigenen Gewohnheiten oder woher das Problem kommt.

Man verlagert die eigene Verantwortung …
Ja! Das hat mich so gereizt, dass ich dem auch körperlich nachgehen wollte: Wie ist das, wenn man Kraft hat, die man nicht dimmen kann? Die Sonne kann Leben zerstören, sie ist aber auch lebenspendend. Sie wird gefürchtet und verehrt. Sie ist eine ziemlich existenzielle Erscheinung. SONNE ist nicht nur Klimastück. Wenn man sich mit einem Himmelskörper beschäftigt, der aktuell im Brennpunkt steht und das Wetter mitbestimmt, ist es klar, dass die Klimakrise thematisch aufflammt. Aber wir haben uns bemüht, die Sonne in ihrer vielfältigen Existenz zu beleuchten.

Auf der Bühne performst du mit dem Kinderchor des Tiroler Landestheaters. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Kinder von heute betreffen die Konsequenzen des Klimawandels am meisten. Je weniger Probleme wir Erwachsene jetzt lösen, desto mehr wird diese Generation spüren, welche fatalen Fehlentscheidungen wir getroffen haben. Insofern öffnen die Kinder für mich das Thema Zukunft. Andererseits interessiert mich aber auch, dass einzelne Kinder wie ein Alter Ego für meine Kindheit stehen. Als Kind hat man ein so offenes Herz und noch weniger Filter. Andererseits könnte sie auch die nächste Sonne sein. Denn auch unsere Sonne hat ein Ende. Sie wird sich irgendwann zu einem roten Riesen ausbreiten und dann zu einer abgekühlten Kugel schrumpfen. Aber das nächste Sonnensystem ist schon unterwegs. Es geht immer weiter. Die Menschen sterben vielleicht irgendwann aus; beim anthropogenen Klimawandel geht es aber um unsere Verantwortung für die folgenden Generationen und andere Lebewesen, die wir mitreißen.

Welche Texte und Sounds finden sich im Stück?
Einige Texte haben Boris Kopeinig und ich geschrieben. Mir war es wichtig, darin den Blick auf die ökologische Krise aus der Sicht der Sonne zu werfen und verschiedene Aspekte aufzugreifen, wie sich die Sonne fühlen könnte – ohne moralischen Zeigefinger. Im Kindergarten und in der Schule lernt man immer noch unglaublich naive Lieder über die Sonne. «Oh liebe Sonne, Sonne, liebe, goldne Sonne, schein herab auf mich.» In ihnen liegt eine irrsinnige Lebensfreude. Natürlich macht die Sonne etwas mit unserem Stoffwechsel und unserer Stimmung. In Kinderliedern wird das jedoch extrem verklärt. Wenn ein Lied davon handelt, dass die Sonne scheint und die Kinder hinausgehen sollen, um zu spielen, denke ich mir «aber nicht ohne Lichtschutzfaktor». Das berührt mich so, weil den Kindern dieses Gefühl zur Sonne irgendwann genommen wird. Bei der Musikauswahl gibt es auch popkulturelle Referenzen. Ich möchte nicht zu viel verraten, aber Letztes Biest (am Himmel) von Einstürzende Neubauten wird ein Thema sein. Blixa Bargeld hat mit diesem Song etwas Unglaubliches geschaffen, weil er eigentlich auch sich selbst meint. Und ich würde sagen: Sonne ist auch in uns. Sie scheint in uns hinein. Letztendlich haben wir alle eine Strahlkraft und eine Möglichkeit, Dinge zu beleuchten.

Wir sollten ja nicht mal direkt ins Sonnenlicht schauen …
Ich habe den Musiker Otto Lechner, den ich gut kenne, gefragt, wie das für einen blinden Menschen ist, in die Sonne zu schauen. Otto meinte, dass er sie mit offenen Augen anschaut, aber nichts passiert. Er sieht keine «hellere» Dunkelheit. Und dann hat er den schönen Satz gesagt: «Ich lebe in meinem eigenen Licht.» Er sieht Farben, die in den Netzhautnerven entstehen. Den Performer Thomas Richter, der im Rollstuhl sitzt und mit dem ich viel zusammenarbeite, habe ich wiederum gefragt, wie er Sonne und Hitze auf seinen Beinen wahrnimmt. Er meinte, dass er eine Verbrennung erst bemerkt, wenn er die Verbrennung sieht. Da ist mir bewusst geworden, dass wir differenzieren müssen. Das Licht- und das Wärmeempfinden durch die Sonne ist für jeden von uns anders. Aber klar ist: Der Planet, der brennt wirklich.

Welche Rolle spielt das Lichtdesign in SONNE?
Eine große. Es war wichtig mit einer Lichtdesignerin zu arbeiten, die mit dem Thema wirklich etwas anfangen kann. Generell finde ich es spannend, mich mit diesem Thema an einem Ort zu beschäftigen, der die Sonne eigentlich ausschließt. Das Theater sucht ja die Dunkelheit, um elektrisches Licht zu inszenieren. Dieser Widerspruch ist unglaublich reizvoll.

Interview von Stephanie Serles, September 2023
(Originalbeitrag für das Festspielhaus St. Pölten, gekürzte und leicht bearbeitete Version)

 

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