Leonardo DiCaprio und die Liebe im Spätkapitalismus

   Blogbeitrag

Liv Strömquists Stück Ich fühl’s nicht gilt als ein Plädoyer für eine von den Zwängen der Konsumgesellschaft befreite Liebe – weg vom Narzissmus, hin zum „Sich-Fallen-Lassen“. Regisseurin Susanne Schmelcher im Interview.

Haben wir wirklich verlernt, uns zu verlieben?
Susanne Schmelcher:
Im Gegensatz zu früher wird nicht mehr erwartet, dass man das ganze Leben mit ein und derselben Person zusammen ist. Man kann im Laufe seines Lebens beliebig oft den/die Partner*in wechseln. Deshalb muss man sich aber auch total viel mit dem Auswahlprozess beschäftigen – Dating Shows und Dating Apps zeigen, dass wir uns immer mehr auf Expert*innen und wissenschaftliche Methoden verlassen, um einen Partner zu finden. Dabei geht es doch eigentlich um das nicht rationale „Fallen-Lassen“ – to fall in love. Ein irres, schwindelerregendes Gefühl.

Warum sind die Beziehungen von Leonardo DiCaprio ein Beispiel für die Liebe im Spätkapitalismus?
Das sage ich am besten mit den Worten von Liv Strömquist: „Leonardo DiCaprio ist irgendwie wie eine lauwarme Herdplatte, die das Wasser nie richtig zum Kochen bringt. Wenn man mit der Hand drauffasst, verbrennt man sich nicht.“

video - Titelbild

Verlieben sich die Menschen immer nur in ein „sexy Bild“ und wissen gar nicht mehr, was Liebe ist?
Die Beziehungen von Leonardo DiCaprio nimmt Liv Strömquist als Beispiel dafür, dass wir heute Schwierigkeiten haben, überhaupt etwas Wahrhaftiges gegenüber einer anderen Person zu fühlen. Man macht lieber ein sexy Selfie als ein sexy Bild von jemand anderem. Wir sind so sehr mit uns selbst beschäftigt, begreifen andere als Spiegel für unser Ego, die uns selbst bestätigen sollen. Der andere in seiner Einzigartigkeit rückt damit in den Hintergrund. Indem man Menschen nicht als anders erkennt, werden alle gleich – und sind daher ständig miteinander vergleichbar. Man kann den anderen, dem die Andersartigkeit genommen wurde, aber nicht lieben, sondern nur konsumieren. Dadurch werden auch die ganzen Models, die DiCaprio datet, letztlich austauschbar.

Wie darf man sich das Stück vorstellen?
Das Stück ist gleichzeitig witzig und konsum- bzw. gesellschaftskritisch. Es stellt Frauenfiguren in den Vordergrund, wo es historisch oft nur um Männer geht. Es erklärt sehr erhellend soziologisch, warum wir in unserer heutigen Zeit so lieben, wie wir es eben tun, und stellt dabei den Kapitalismus als Hauptfaktor in den Vordergrund. Das Ganze geschieht aber auf so amüsante Weise in Referenz auf unsere Popkultur, dass wir immer wieder schmunzeln müssen, weil wir uns selbst und unsere Gesellschaft in den Figuren erkennen. Zum Beispiel wenn Miraculix sagt, dass er mehr Space und Me-Time für sich und seine Zaubertränke brauchen würde und deshalb keine Zeit für eine Beziehung hat. Das kommt einem doch sehr bekannt vor.

„Sich zu verlieben bedeutet, dass man
völlig machtlos ist, ohne Arme und Beine.
Wie Dönerfleisch, das sich in einer fettigen
Imbissbude immer im Kreis dreht, zu
nichts fähig, außer gegrillt zu werden.“

(Zitat aus dem Stück)

Wie sieht das Bühnenbild aus?
Der Bühnenraum, den Marion Hauer entworfen hat, besteht aus mehreren Kammern, die nebeneinander und übereinander verschiedene Räume ergeben. Zusammen schaut man auf sie wie auf einen geöffneten Comic. Vom Ort des ersten Dates über Videobilder, den Spiegelraum zur Selbstbespiegelung bis hin zum Herzblatt-Studio mit Drehtür ergeben sich viele Spielmöglichkeiten. Im Laufe des Stücks lösen sich diese Räume in ihrer Konkretheit immer mehr auf und zeigen den Menschen einsam im großen Weltall. Eine große Rolle spielen auch die Kostüme, weil die vier Schauspieler*innen im Laufe des Stücks in mehr als 30 verschiedene Figuren schlüpfen – von diversen Liebenden, Leonardo DiCaprio, Beyoncé und Miraculix bis hin zum Philosophen Kierkegaard und einem Dönerspieß.

Gibt es eine musikalische Untermalung?
Die Spielenden werden einige sehr bekannte Lieder aus der Geschichte der Popmusik live singen – zum Beispiel Songs von Beyoncé, Bryan Adams oder Danger Dan. Außerdem gibt es Ton-Einspielungen.

Von Patrizia Reppe-Pichler

video - Titelbild

Ich fühl’s nicht

Schauspiel nach dem Comic von Liv Strömquist

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