Sir David Pountneys und Wolfgang Mitterers Oper erzählt von den Gefahren und Möglichkeiten der neuen Medien – und unserem Umgang damit.
Kinder, die erwachsen werden: Das Thema aus dem Roman Peter Pan (eigentlich The Little White Bird von James Matthew Barrie) wird in der neuen Oper Peter Pan – The Dark Side in der heutigen Zeit aufgegriffen. John, Michael und Wendy sind Teenies, ihre ständigen Begleiter ihre Smartphones und auch sonst sind sie umgeben von einer virtuellen Welt. Die Grenzen verschwimmen, was ist echt, was nicht?
Mit diesen Ideen im Kopf schrieb Librettist Sir David Pountney über eine Generation, die ihr Leben im Netz lebt – online, sprichwörtlich also in den Fäden einer zweiten Realität. Eine Welt, Peter Pans «Neverland», die beherrscht wird vom infinite scrolling, dem unendlichen Weiterwischen jeglicher Nachrichten, guter wie schlechter. Und genauso wie jede Botschaft im Äther verschwinden kann, so zerbrechlich sind auch die Biografien der Menschen online.
«Junge Menschen kleben heutzutage dauernd am Telefon.
Unter dem Einfluss von Social Media werden sie ständig
ermutigt zu konsumieren, zu kaufen und einem
falschen Leben nachzujagen.»
Daisy Evans, Regisseurin
Was ist wahr? Wer sitzt mir an diesem Bildschirm tatsächlich gegenüber? Der Bildschirm täuscht uns eine Vertrautheit vor, er öffnet dabei Tür und Tor für falsche Identitäten, Mobbing und jegliche Art von Onlineverbrechen. Ist diese attraktive Person mit Locken und Lachfältchen wirklich Peter Pan?
Tinkerbell, die lieblich-flatternde Fee und ein irreales Wesen aus einer Fantasiewelt, ist bei Pountney die Entsprechung eines Instagram-Models, das als Vorbild für junge Frauen täglich online ist und unglaublich perfekt erscheint. Doch zu welchem Preis? Das kann Peter Pan schlussendlich auch nicht erahnen …
Als Vater sieht der Librettist David Pountney seine Aufgabe im Schutz der Kinder: Sind diese gefangen in Situationen wie virtuellem Mobbing oder Ausbeutung in der digitalen Welt, können Erwachsene oft schwer nachvollziehen, was tatsächlich passiert. Natürlich nur gesetzt dem Fall, dass sich das Kind überhaupt einer Bezugsperson anvertraut. Diese Gräben zu überwinden, sei eine Herausforderung, aber wichtig.
Auch die Musik des Tiroler Komponisten Wolfgang Mitterer versucht Gräben zu überwinden: Das Orchester spielt auf einem Elektronikbett, die Sänger:innen können sich ganz in der Musik fallen lassen, denn sie werden nie allein gelassen. Das Orchester füllt dabei die Lücken der Elektronik und nimmt immer weiter Fahrt auf, wie ein musikalisches Gummiband verringert sie den Abstand zum Publikum. Das ist eine Herausforderung für die Künstler:innen auf der Bühne, die ihre Stimmen anders einsetzen, als sie es meistens gewohnt sind: Spannende Dissonanzen, energetische Abschnitte, kammermusikalische Passagen, ruhige Episoden, lyrische Einwürfe, unerwartete harmonische Klänge, Zitate aus Klassik oder Pop brechen mit allen Erwartungen. Zum ersten Mal steht eine Oper von Wolfgang Mitterer am Programm des TLT. Er freut sich darauf, steht mit dem Dirigenten Timothy Redmond doch ein erfahrener Dirigent für Neue Musik am Pult. Und schon am ersten Probentag kommt er ins Schwärmen: «Selten, dass ein Dirigent mit so viel Liebe über elektronische Elemente in der Musik spricht.».
TEXT Alena Pardatscher
BILD Birgit Gufler
PETER PAN – THE DARK SIDE
Oper für acht Stimmen, Orchester und Electronics von Wolfgang Mitterer
Libretto von Sir David Pountney