«Heldenplatz»: Das ewige Exil

15.12.2025 / blog
Hedwig Schuster (Sara Nunius), die immer noch den Jubel vom Heldenplatz hört, am Tisch mit Herrn Landauer (Tommy Fischnaller-Wachtler), Prof. Liebig (Philipp Rudig), Prof. Robert Schuster (Christoph Kail) und Anna (Julia Posch). © Victor Klein Hedwig Schuster (Sara Nunius), die immer noch den Jubel vom Heldenplatz hört, am Tisch mit Herrn Landauer (Tommy Fischnaller-Wachtler), Prof. Liebig (Philipp Rudig), Prof. Robert Schuster (Christoph Kail) und Anna (Julia Posch).

Übertreibungskünstler Thomas Bernhard holt zu einem umfassenden Schlag gegen die österreichische Vergangenheitsverleugnung aus.

Koffer und Kisten sind gepackt. In der Wohnung am Heldenplatz ist alles für die Abreise nach Oxford vorbereitet. Doch nun soll alles nach Neuhaus gehen. Statt nach England umzuziehen, betrauert Familie Schuster einen Verstorbenen. Der jüdische Professor Josef Schuster hat die Zustände der Gesellschaft nicht ertragen und sich aus dem Fenster gestürzt, mit Blick auf den Heldenplatz. Eben jenen Ort, an dem Adolf Hitler 1938 den «Anschluss» Österreichs an Nazideutschland verkündete und die Masse in Jubel ausbrach.

Josef Schuster und seine Familie hatten einst das Land verlassen und waren vor dem nationalsozialistischen Terror ins englische Exil geflohen. In den 1950er-Jahren kehrten sie nach Wien zurück. Doch ihre frühere Heimat erkennen sie nicht wieder, und die traumatischen Ereignisse am Heldenplatz setzen sich fort. Die jubelnden Massen von damals tönen im Kopf der Ehefrau Hedwig Schuster weiter. Josef Schuster kann nicht ertragen, «daß mich dieser Hitler zum zweitenmal / aus meiner Wohnung verjagt» und nimmt sich das Leben.

Wut, Verzweiflung, Gleichgültigkeit und bitterer Humor

In drei Szenen wird deutlich, wie die Hinterbliebenen mit dem Todesfall umgehen: In der ersten Szene die Hausangestellten, in den folgenden die Familie und Universitätskollegen. Im Nachdenken über die politischen Verhältnisse, die Josef Schuster in den Tod getrieben haben, verdichten sich die Gespräche der Hinterbliebenen zu einer schonungslosen Abrechnung mit den Zuständen. Eine «naturgemäße» Bernhardsche Erregung aus Wut, Verzweiflung, Gleichgültigkeit und bitterem Humor. Neben Umzugskisten und -koffern wird deutlich, dass ihr Leben im ewigen Exil allgegenwärtig ist – weder in Neuhaus noch in Oxford noch in Wien können sie eine Heimat finden.

Mit seinem skandalträchtigsten Stück Heldenplatz schreibt Thomas Bernhard eine Warnung vor dem bequemen Vergessen. Mit Blick auf die zeitgenössischen Zustände erweitert Regisseurin Jessica Glause in ihrer zweiten Arbeit am Tiroler Landestheater den modernen Theaterklassiker um einen Bürger:innenchor, der mit neuen Texten des österreichischen Autors Elias Hirschl präzise jene Spannungsfelder auslotet, die unser Heute prägen. Die Entwurzelung und die Leerstelle, die eine verlorene Heimat hinterlässt, sind ebenso virulent wie die Frage, wie wir mit unserer Geschichte umgehen, Heldenplatz wirkt wie ein Weckruf, der bis heute seine Gültigkeit behalten hat.

TEXT Sonja Honold
BILD Victor Klein