Verlockende Früchte

Die erste neue Tanzproduktion trägt den verheißungsvollen Namen Verlockung und feiert am 10. Oktober in den Kammerspielen ihre Uraufführung. Verantwortlich für den Doppel-Tanzabend sind zwei internationale Gäste: Francesca Frassinelli und Douglas Lee.
Der Brite Douglas Lee ist ein sehr renommierter, international tätiger Choreograf. Bereits während seiner Tanzkarriere als Solist am Stuttgarter Ballett begann er, eigene Kreationen zu schaffen. Er entwickelte seither Choreografien für wichtige Häuser wie Stuttgart, das New York City Ballet, das Zürcher Ballett, Staatsballett Berlin, Netherlands Dance Theater II, Ballett Mainz, Dortmund, Nürnberg und viele mehr.
Nun konnte er mit einer neuen Kreation, die er eigens für das Tanzensemble des TLT schafft, für den Doppel-Tanzabend Verlockung gewonnen werden. Lee teilt sich den Abend mit der italienischen Choreografin Francesca Frassinelli, die sich dem Innsbrucker Publikum bereits mit ihrer höchst dynamischen Choreografie Unfamiliar Connections im Dreier-Tanzabend Rausch vorgestellt hat. Die beiden schicken das Tanzensemble zusammen mit dem Publikum auf eine mythische Zeitreise. Douglas Lee nimmt sich für sein Stück Lotos-Eaters der Erzählung der Lotosesser oder Lotophagen aus der Odyssee an. Dabei handelt es sich um ein Inselvolk, das nichts lieber tat, als sich von der berauschenden Wirkung der Früchte des Lotosbaums verwöhnen zu lassen. Francesca Frassinelli thematisiert für ihr Stück No-Pleasure Pain die Schöpfungsgeschichte, genauer: den Sündenfall.

«Eine entscheidende Inspirationsquelle für dieses Stück ist Patrick Süskinds Roman Das Parfum.»
Wie sie den Mythos von Adam, Eva und dem Apfel für die Bühne umsetzt, beantwortet sie in den folgenden drei Fragen:
Was für eine Geschichte erzählst du in No-Pleasure Pain?
Francesca Frassinelli Es sind mehrere Geschichten, die sich ineinander verweben. Ich greife dafür den Sündenfall aus der Bibel auf – also Adam, Eva und die Verlockung durch den Apfel. Den Fokus lege ich aber keinesfalls auf eine religiös-moralische Bewertung, sondern auf menschliche Sehnsüchte und geheime Wünsche, die insbesondere im Kopf stattfinden. Dabei ist Sexualität ein wichtiger Aspekt sowie die Fragen: Was darf man, was ist konform, was verstößt gegen die Regeln und wer bestimmt das? Der Apfel steht für Versuchung, für Erkenntnis, vielleicht für Schuld. Man begeht etwas, und dann erkennt man: Es war falsch. Aber gerade dieses Eingeständnis macht es teilbar – macht es menschlich.
Was hat dich zu deiner inhaltlichen Wahl inspiriert?
Francesca Frassinelli Eine entscheidende Inspirationsquelle für dieses Stück ist Patrick Süskinds Roman Das Parfum. Anziehung zwischen Menschen wird stark über die Sinne geleitet. Der Duft spielt da eine wichtige Rolle, in ihm sind die ganze Seele, die Identität und die sexuelle Identität einer Person enthalten. Und er regt die Fantasie an. Sich zu einer Person hingezogen zu fühlen, kann ja oft rein im Kopf stattfinden, ohne direkten physischen Austausch.
Welche Objekte auf der Bühne unterstützen dich bei der Umsetzung?
Francesca Frassinelli Mein Bühnenbild besteht lediglich aus einem fahrbaren Bett, das zu einem Tisch umfunktioniert werden kann. Wie das Bett wird auch ein Tisch gern geteilt, es vereint zwei oder mehr Menschen zum Austausch, Beisammensein, zur Geselligkeit. Insbesondere spielt das Teilen hier eine Rolle – das Teilen von Bett und Tisch – und auch von Essen. Womit der Apfel wieder ins Spiel kommt. Der Apfel war ein Angebot. Etwas, das gereicht wird, das man annehmen oder ablehnen kann. War es falsch, den Apfel anzunehmen? Wie kann es falsch sein, bevor ich die Konsequenzen kenne? Mit diesen Fragen werden wir uns für die Kreation zu einer Musikauswahl von Johann Sebastian Bach, des britischen Komponisten und Cellisten Peter Gregson, der Harfenistin Lavinia Meijer und des japanischen Komponisten Ryūichi Sakamoto auseinandersetzen.
TEXT & FRAGEN Stefan Späti