
Verlockung
Tanzstücke von Douglas Lee & Francesca Frassinelli
Inhalt
Dieser berauschende Tanzabend lockt mit zwei internationalen choreografischen Handschriften. Die Italienerin Francesca Frassinelli ist in Innsbruck keine Unbekannte. Ihre virtuose und atmosphärisch dichte Choreografie Unfamiliar Connections war Teil des Dreier-Tanzabends Rausch in der vergangenen Spielzeit. Im Rahmen des Doppelabends Verlockung präsentiert sie am TLT mit No-Pleasure Pain eine choreografische Uraufführung.
Der Brite Douglas Lee ist seit über 25 Jahren als Choreograf an renommierten Häusern wie dem Stuttgarter Ballett, New York City Ballet, Zürcher Ballett, Ballett Dortmund und Netherlands Dans Theater 2 tätig. Mit der Uraufführung Lotus-Eaters, die für das Tanzensemble des TLT neu entsteht, stellt er sich dem Innsbrucker Publikum vor.
Besetzung
No-Pleasure Pain
No-Pleasure Pain führt uns ganz weit zurück – zum Beginn, zur Schöpfungsgeschichte bzw. dem theologischen Schöpfungsglauben. Und zum Apfel als Symbol für die markanteste Verlockungs-Anekdote aus der Bibel. Die italienische Choreografin Francesca Frassinelli schafft für ihre Neukreation eine fragmentarische Erzählung basierend auf dem biblischen Sündenfall. Sie gliedert ihr Stück in Duette und Gruppenszenen, die sich letztlich – ähnlich wie bei ihrem Kollegen Douglas Lee – in einen angedeuteten Neuanfang auflösen. Eine szenisch-chronologische Einordnung:
1. Bild – Annäherung: Elizabeth & Gruppe
Der Anfang, Auftritt der Verführung in Form der Schlange mit Apfel, sie initiiert die Annäherung und Verbindung der Geschlechter. Gegenseitige Erforschung über alle Sinne, rudimentär, animalisch.
2. Bild – Duett Nr. 1: Catarina & Antonio
Adam und Eva: Eine heteronormative Beziehung. Sie dominiert, gibt den Weg vor, er gewinnt jedoch zunehmend an Kontrolle, die Begegnung endet im Nichts.
3. Bild – Männerpart: Männer, Iliano & Elizabeth
Die Männer gruppieren sich, zeigen Dominanz und männliches Gebaren. Die Frauen bleiben abseits. Die Verführerin kommt dazu, konzentriert sich auf einen Mann, ködert ihn, er weist sie jedoch zurück. Ein anderer beißt an.
4. Bild – Duett Nr. 2: Elizabeth & Spiros
Eine spielerische Annäherung im Bett, unverbindlich, er möchte mehr, sie will weg und behält weiterhin den Fokus auf ihrem ursprünglichen „Opfer“.
5. Bild – Duett Nr. 3: Franklin & Iliano
Die echte, pure und kraftvollste Liebe ohne Manipulation entsteht zwischen zwei Männern. Eine Paarung, die vom Rest der beobachtenden Gruppe (der Gesellschaft) als non-konform und inakzeptabel beurteilt wird. Die beiden werden getrennt.
6. Bild – Quartett: Antonietta, Melissa, Mingfu & Yi
Die Wächter und Hüter der «Moral» bestehen auf den «klassischen» Rollen und Verhaltensmustern, die sie Männern und Frauen zuschreiben.
7. Bild: alle
Die Gruppe entwickelt sich zu einer Art verlorener Armee, aufgebaut aus einem System der Unsicherheit, sie verliert den Boden unter den Füssen, bricht auseinander. Alle suchen den sicheren Ort, lediglich eine schafft es – ein Neuanfang kündigt sich an.
Francesca Frassinelli verwendet nur ein Objekt als Bühnenbild – allerdings handelt es sich dabei um ein Objekt, das vieles darstellen kann. Es ist eine schwarze Truhe mit Flügeltüren als Deckel. Aufgeklappt wird sie zu einem Bett umfunktioniert und aufgerichtet gar zu einem Buch bzw. einer Bibel, ist mal Gefängnis, mal Tummelplatz und wird am Ende zum ersehnten – jedoch für die meisten unerreichbaren – Ort der Zuflucht.
Musik: Cathedral (Mutafrukt & ITSU), Warmth & Drone (Peter Gregson), ZURE (Ryuichi Sakamoto), Serenity O Magnum Mysterium (Ola Gjeilo), Blind Spot Part 1 (Christof Littmann), Fólk fær andlit (Hildur Guðnadóttir)
Lotus-Eaters
Als Inspiration für Lotus-Eaters dient eine Episode aus der Odyssee. Odysseus erreicht mit seinen Gefährten eine Insel, auf der ein Volk lebt, das der berauschenden Wirkung der Lotusfrüchte verfallen ist. Nur mit Gewalt kann er seine Männer zurück zum Schiff zwingen, nachdem auch sie den verlockenden Nektar probiert haben. Der britische Choreograf Douglas Lee hat sich jedoch für seine Kreation nicht zum Ziel gesetzt, diese Geschichte nachzuerzählen. Vielmehr interessierte ihn das Rituelle des gemeinsamen Sich-Berauschens als eine Art Zeremonie, die sich stets wiederholt. Ursprung dieser Zeremonie ist die Verehrung einer natürlichen Substanz, die Gegenwart und Alltag vergessen und in andere Sphären entschweben lässt. Die Wirkung ist nicht euphorisch, sondern versetzt die Gruppe in einen entrückten Zustand zwischen Schlaf und Bewusstsein. Dabei spielt die Vorbereitung für dieses Ritual eine wichtige Rolle, sie wird Teil des Genusses. Während die Tänzer:innen sich in stets neue Gebilde aus Duetten, Trios und Quartetten langsam zur großen Gruppe hin formen, fällt insbesondere eine Gestalt auf, die im zweiten Teil des Stücks mehr in den Vordergrund rückt. Diese Lotus-Figur kann als eine Art göttliche Verkörperung bzw. Vergrößerung der Frucht selbst gedeutet werden, die allen Beteiligten gleichermaßen in ihrem Trip erscheint. Auch hier geht es um einen Zyklus, um die stete Wiederholung, indem angedeutet wird, dass am Ende ein neues Mitglied der Gruppe zu dieser Figur werden könnte. Das Stück bleibt trotz literarischer Inspiration abstrakt. Douglas Lee bezeichnet es eher als bewegtes Bild mit assoziativen Elementen, denn als Erzählung mit gezielter Botschaft.
Die Musik wurde eigens für das Stück komponiert – Lotus-Eaters ist somit auch eine musikalische Uraufführung. Den Komponisten Nicolas Sávva und Douglas Lee verbindet eine langjährige Zusammenarbeit, die sich laut Lee sowohl von den Gemeinsamkeiten aber auch der Unterschiedlichkeit ihrer Geschmäcker inspiriert und so die beiden Künstler aus ihren jeweiligen Komfortzonen herausholt. Das Bühnenbild vereint kühl-industrielle Elemente mit einem organischen Look. Das schwebende Ringgebilde ist eine Mischung aus Künstlichkeit anhand der Schläuche und Natur in Form einer angedeuteten Schlingpflanze. Unterhalb entsteht eine Art Lichtung, die wiederum den zentralen Ort des Rituals absteckt



























