Die lange Geschichte eines Tiroler Berges und seiner Bewohner*innen durchzieht viele Generationen. Doch traumatische Erinnerungen werden oft verschwiegen.
Unter Verwendung autobiografischer Elemente erzählt die junge Autorin Lisa Wentz aus Schwaz in Adern eine Geschichte im Österreich der Nachkriegszeit: Die alleinerziehende Mutter Aloisia fährt in den 50er-Jahren auf eine Zeitungsannonce hin nach Brixlegg, Tirol: Der Witwer Rudolf sucht jemanden, der sich um seine Kinder kümmert. Die beiden beginnen einen gemeinsamen neuen Lebensabschnitt am Fuße des Eiblschrofen und versuchen dort, neue Stabilität, Vertrauen und so etwas wie Liebe zueinander aufzubauen.
„Adern ist ein sehr präzises, berührendes Figurenstück,
in dem es nicht nur um das Schicksal zweier Menschen geht,
sondern auch um die Weitergabe von Erinnerungen
und Traumata über viele Generationen.“
Bérénice Hebenstreit, Regisseurin
Dabei spielt besonders die Erinnerung an das, was im und um den Eiblschrofen passiert ist, eine große Rolle: „Der Berg selbst erzählt in fast lyrischer Sprache vom Bergbau im Mittelalter bis hin zur Silberproduktion. Ein Kaleidoskop an Stimmen prägt diese Geschichte des Berges, in der Rudolf und Aloisia nur ein kleiner Teil sind“, beschreibt Hebenstreit.
Die verschiedenen Ebenen fließen im Stück ineinander über, relativieren den Zeitraum der immensen Ausbeutung des Menschen in der viel größeren Geschichte des Berges, der schon lange vorher da war. Der Bergbau, die Kriegszeit und die Zwangsarbeiter in der Messerschmitthalle im Berg sind unverarbeitete Traumata der Bewohner*innen, oft nur angeschnitten, nie ausführlich erzählt. Und am Ende geht es genau um das, was nicht erzählt wird, so Hebenstreit: „Eigentlich ist es ein Stück über das Schweigen, das Ungesagte und die vielen Erinnerungslücken. Wir begeben uns auf eine Spurensuche im Berg, ohne diese Lücken retrospektiv füllen zu wollen.“ Für diese „Dramaturgie des Schweigens“ wurde Adern bereits mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeichnet.
„Es gibt viele Leerstellen, insbesondere in der NS-Vergangenheit, die auch Formen von Erinnerung sind und eben nicht vergessen, sondern sichtbar gemacht werden sollen. Auch wenn nicht darüber gesprochen wird, vererbt sich dieses Schweigen darüber von Generation zu Generation weiter und prägt uns bis heute“, sagt Hebenstreit. Die Aufarbeitung und das Erleben der Geschichte rund um den Eiblschrofen entdeckt Lücken in der Vergangenheit, holt totgeschwiegene Wunden ans Licht und setzt sich mit verloren gegangenen Erinnerungen an die Geschichte einer Region auseinander.
Von Johanna Muro