Stifters Bergkristall in der Gegenwart

   Blogbeitrag

Es ist ein Stück über unerwartete Wendungen in einem skurrilen Umfeld. Regisseur Thomas Gassner erzählt die Geschichte rund um die Kinder Sanna und Konrad neu und regt zum Denken an.

Adalbert Stifters Bergkristall spielt bekanntlich in den österreichischen Alpen. Eingebettet in die üppige Natur sind auch die beiden verfeindeten Dörfer Gschaid (arm) und Millsdorf (reich), die – frei nach der Erzählung von Stifter – wieder zueinander finden, als die beiden Kinder Sanna und Konrad gemeinsam gerettet werden. So weit, so gut. Regisseur Thomas Gassner denkt die Geschichte aber anders bzw. weiter, und so wird auf der Bühne der Kammerspiele das Stück zwar von Lehrer Stifter erzählt, allerdings im Sinne eines Mysterien- bzw. Passionsspiels.

„Es ist ein Spiel-im-Spiel, was mir die Freiheit lässt,
keine Rückblenden machen zu müssen und
den kompletten Raum nutzen zu können.“

Thomas Gassner, Regisseur

„Ich setze den Fokus auf den Dorfplatz von Gschaid, der aber eigentlich überall sein kann. Er liegt zwischen Natur und Stadt, ist etwas morbid und verfallen und repräsentiert
einen innerlichen Bezug zu einer Gesellschaft, die dem Ende zugehen wird.“

video - Titelbild

Das Stück beginnt idyllisch, die Natur zeigt zwischendurch aber ihre Zähne – und die Ereignisse und Mechanismen des Dorflebens werden eine Spur überhöht, ja sogar skurril dargestellt. Der Reiz des Szenischen wird durch die sehr fulminante Musik unterstützt, die auch dem Großen Haus gerecht werden würde. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch ruhige Momente geben kann, wie Hansjörg Sofka, der die musikalische Leitung innehat, betont: „Zeitgenössische Musik ist nicht immer atonal. Es gibt viele Momente, in denen sich das Publikum zurücklehnen und entspannt der Musik lauschen kann.“ Und auch die Arbeit mit dem Kinderchor mache große Freude: „Janelle Groos hat den Kinderchor perfekt im Griff. Großes Kompliment. Das ermöglicht eine sehr professionelle Arbeit.“

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Naiv-romantische Verklärung

Gassner stellt sich auch die berühmte Waswäre-wenn-Frage: „Die naiv-romantische Gesellschaftsaussage, dass sich zwei Dörfer versöhnen, weil sie gemeinsam zwei Kindern retten, ist ja schön und gut. Aber wie würde es weitergehen, würden sie die Kinder nicht retten? Würden die Dörfer mehr – oder weniger – aus dieser Sache lernen?“ Ohne den moralischen Zeigefinger zu heben, möchte der Regisseur dazu ermutigen, ein wenig öfter hinter die Kulissen zu schauen. „Was ich mache, ist, den hohlen Ritualcharakter etwas zu überdenken. Denn viele Traditionen wurden bereits ‚vertouristisiert‘ und haben nichts mehr mit dem ursprünglichen Gedanken zu tun.“ Und es wäre doch eine wunderschöne Überlegung, wieder mehr zu den Menschen zu schauen.

Von Patrizia Reppe-Pichler

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BERGKRISTALL

Oper von Michael F. P. Huber. Text von Alois Schöpf.
Nach der gleichnamigen Erzählung von Adalbert Stifter.

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