Giuseppe Verdis La Traviata berührt das Publikum heute wie damals – und erzählt vom Schicksal einer Frau, die für die Liebe alles opfert.
La Traviata ist nicht nur die einzige Oper Verdis, in der er einen zeitgenössischen Stoff vertonte, sondern auch eines seiner beliebtesten Werke. Ursprünglich hätte das Stück den Titel Amore e Morte tragen sollen. Liebe und Tod – das sind die Zutaten für eine hochemotionale Geschichte, die seit 150 Jahren das Publikum fasziniert. Für die Regisseurin Magdalena Weingut ist es kein Wunder, dass La Traviata ein Dauerbrenner ist. „Verdis traumhafte Melodien gepaart mit einer tragischen Liebesgeschichte“ seien das Erfolgsgeheimnis.
„traumhafte Melodien zusammen mit einer
faszinierenden Titelheldin, an deren Selbstbewusstsein
und Geist wir Frauen uns ein Beispiel nehmen sollten.“
Magdalena Weingut, Regisseurin
Mit La Traviata als „Die vom Weg Abgekommene“ wertet Verdi laut Weingut auf leicht provokante Weise Alexandre Dumas’ Roman Die Kameliendame um. „Violetta bzw. Marguerite geht ihren ganz eigenen Weg mit dem, was die Natur ihr gegeben hat. Sie ist nur eine von vielen aus einfachen oder ärmlichen Verhältnissen stammenden Frauen der damaligen Zeit von gewissem Reiz, für die der Beruf einer ‚femme entretenue‘ eine verlockende Möglichkeit bot, sich ein Leben in Luxus zu gönnen, das sonst völlig außer Reichweite lag. Dieser ‚Berufsstand‘ und ihre Dienste waren in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen gern gesehen und wohl bekannt.“
Doch wo ist Violetta laut Titel denn nun falsch abgebogen? Ist es der Umgang mit zahlreichen Männern, ist es das kurze Ausbrechen mit Alfredo oder die Tatsache, dass sie sich von ihm abwendet? Weingut: „Vom Weg ab kommt Verdis Titelheldin eher im positiven Sinn durch ihre Liebesbeziehung mit Alfredo, der ihr bisheriges Lebenskonstrukt zum Wanken bringt und den Traum von einem anderen Leben fast – aber nur fast – Realität werden lässt.“
Alfredo Germont verliebt sich in die Kurtisane Violetta. Doch ihre Liebe wird von Germonts Vater verhindert, weil dieser um die Familienehre fürchtet. Missverständnisse, Kränkungen und das tragische Ende folgen. Tradierte Machtstrukturen bieten nach wie vor Anknüpfungspunkte für das heutige Verständnis des Stoffes. „Julia Roberts im Hollywoodfilm Pretty Woman, die Milliardärsgattin Anna Nicole Smith – der übrigens auch eine zeitgenössische Oper gewidmet wurde – und unzählige Frauen und Männer im Escort-Beruf sind moderne
Nachfahr*innen von Violetta“, erläutert Weingut. „Und gewisse patriarchale Strukturen, deren Zwang Violettas und Alfredos Liebe zum Opfer fällt, haben wir leider, leider selbst im 21. Jahrhundert noch nicht komplett überwunden. Sie finden sich selbst in unserer heutigen Lebensrealität wieder.“
Besonders die Titelheldin macht La Traviata für die Regisseurin so spannend. „Ich erzähle die Geschichte mit meinem modernen, weiblichen Blick und entdecke eine intelligente, willenskräftige Frau, die trotz oder gerade wegen ihrer Krankheit, die sie zum Tod verurteilt, vor Energie und Lebensfreude nur so sprüht“, erklärt Weingut. „Ich bewundere vor allem ihren hingebungsvollen Großmut, mit dem sie ihre große Liebe dem Ansehen der Familie ihres Geliebten opfert.“ Das Publikum darf sich auf eine mitreißende Umsetzung freuen. „Das Schicksal Violettas ist das vieler Frauen vor und nach ihr und damit in gewisser Weise zeitlos. Darum haben wir für meine Inszenierung in Innsbruck zusammen mit meinem Ausstattungsteam eine Idee entwickelt, die zeitgemäße, traumhafte und historische Elemente beinhaltet“, sagt die Regisseurin. „Sie soll einem heutigen Publikum eine heutige
Sichtweise offerieren und trotzdem Pariser Charme und Lebensstil zeigen – und zum Träumen, aber auch zum Nachdenken anregen.“
Von Martin Lugger