Kafkas letzte Stunden und seine Angst vor Tieren

   Blogbeitrag

Schauspieler Max Simonischek holt in seinem Debüt als Regisseur Kafkas Tier- und Fabelwesen auf die Bühne – eine Hommage an einen außergewöhnlichen Schriftsteller und seine Sprachgewandtheit.

Die Sprache Kafkas und sein Spiel mit derselben nimmt bei diesem Stück den tragenden Part ein. Ist Kafka umírá ein Versuch, dem Publikum die Sprache wieder näherzubringen, und was erhoffen Sie sich?
Max Simonischek: Ich habe Freude an der Sprache. Sprache ist Handlung. Man kann das Wort gar nicht hoch genug schätzen und sorgfältig genug behandeln. Denn angesichts dessen, welche Aufmerksamkeit Sprache in unserem Alltag momentan erfährt – sie wird instrumentalisiert, verboten oder überfordert -, befinden wir uns diesbezüglich am Theater eigentlich in einem Missverhältnis. Wir müssen ihr auf der Bühne wieder mehr Spielraum zugestehen, damit sie sich entfalten kann, und sie damit in den Fokus rücken. Es geht mir darum, Sprache neu zu erleben, ihre Komplexität zu bedienen und ihre Plastizität sinntragend und harmonisch zum Schwingen zu bringen. Denn Kafkas Sprache wirkt auf mich wie komponiert. Ich möchte sie an diesem Abend als Musik begreifen. Das ist der Versuch, den wir in Kafka umírá unternehmen.

 

video - Titelbild
© Amir Kaufmann

Sie legen auch viel Wert darauf, mit dem Ensemble jeden einzelnen Satz durchzugehen – worauf genau liegt hier der Fokus, was ist dabei besonders wichtig? Was macht für Sie die „kafkaeske“ Faszination aus?
Simonischek: Wir beschäftigen uns nicht alleine mit Kafkas Sprache, sondern sind auch sehr fantasievoll im Prozess der Figurenfindung – nicht zuletzt dank der spielfreudigen Ensemblemitglieder. Denn neben der Sprache haben wir ja auch den Körper als Ausdrucksmittel, mit dem wir Figuren zeichnen können. Letztendlich geht es mir im Theater immer noch um das empathische Miterleben von Geschichten der Figuren. Das Erfinden neuer Spielformen oder Erzählformen ist für mich eher ein Nebenprodukt. An manchen deutschsprachigen Bühnen steht dieses Nebenprodukt allerdings im Mittelpunkt, was in mir als Zuschauer meist den Eindruck erweckt, an einer elitären Veranstaltung teilzunehmen. Entweder, weil ich nicht folgen kann, oder, im schlimmsten Fall, ich mir zu blöd vorkomme.

„Ich möchte mich zuerst zu Kafka hinbewegen
und nicht ihn zu mir ziehen,
denn erstens lerne ich so mehr
und zweitens hat er dazu sicher auch
mehr zu sagen als ich.“

Max Simonischek

Welche Rolle spielen die Tierwesen in Kafka umírá? Wie schwierig – oder leicht – wird es dem Publikum fallen, der Handlung zu folgen?
Simonischek: Bevor ich von den Tierwesen erzähle, versuche ich zu begreifen, was Kafka in seinen Tierwesen sieht. Wie zum Beispiel, dass er sich ihnen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Position sehr nahe fühlte. Die Hunde, Mäuse und Affen sind zwar immer mit dabei, aber nie Teil der Gesellschaft. Sie stehen außen vor, sie gehören nicht dazu, ihre Position ist die des Beobachters. Kafka selbst hatte am Sterbebett Angst vor ihnen. Von seinem Verhältnis zu diesen Tierwesen gehe ich aus. Anders ausgedrückt, möchte ich mich zuerst zu Kafka hinbewegen und nicht ihn zu mir ziehen, denn erstens lerne ich so mehr und zweitens hat er dazu sicher auch mehr zu sagen als ich.

Erst dann, wenn ich glaube, seine Wesen begriffen zu haben, beginne ich vorsichtig, meine Interpretation von ihnen dazu ins Verhältnis zu setzen, aber bitte immer in dieser Reihenfolge. Kafka stirbt, das ist, wie bei uns allen ab dem Moment, in dem wir das Licht der Welt erblicken, auch hier der große rote Faden. In seinen letzten Stunden erscheinen die Tierwesen ihm in seinen Fieberschüben, sprechen ihm vor, nehmen ihm die Angst vor dem Tod, singen und tanzen mit ihm und geleiten ihn schlussendlich sanft hinüber.

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© Amir Kaufmann

Für eine erste Regiearbeit, würde man annehmen, wäre ein sozusagen fertig vorgegebenes Stück einfacher als ein selbst erdachtes. Warum haben Sie sich für Letzteres entschieden? Und welche Gedanken macht man sich generell im Vorfeld einer ersten Regie?
Simonischek: Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich einfacher ist, ein bereits geschriebenes Stück zu inszenieren, als eines selbst zu entwickeln. Bei einem bereits bestehenden Stück hast du jedenfalls den Vorteil, dass es eine durchdachte Dramaturgie in sich trägt, Figuren, Handlung, Situationen, Konflikte und Spannungsbögen bietet, also im besten Fall inhaltlich wasserdicht ist. Aber die wichtigsten und somit entscheidenden Fragen, die ich mir im Vorfeld dieser Arbeit gestellt habe, sind: Was interessiert mich? Wovon möchte ich erzählen? Woran habe ich Freude, mich abzuarbeiten? Und das sind schon seit Längerem Kafka und seine Tierwesen. Da es kein Stück gibt, das diese Figuren vereint, musste ich mir eine Situation ausdenken, in der sie sich selbst und ihrem Erfinder begegnen können. So entstand Kafka umírá. Dennoch würde ich Kafka umírá nicht als mein eigenes Stück beschreiben, denn es wird ausschließlich Kafka gesprochen und es werden keine Fremdtexte verwendet.

Interview: Patrizia Reppe-Pichler  


Kafka umírá – Kafka stirbt

Ein Kafka-Präparat von Max Simonischek

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