Ein Gespräch mit Marcel Leemann, Co-Leiter der Sparte Tanz

   Blogbeitrag

Marcel Leeman, Co-Leiter der Sparte Tanztheater am Tiroler Landestheater, liegt die Vermittlungsarbeit sehr am Herzen. Er ist nicht nur Choreograf, sondern auch leidenschaftlicher Vermittler in alle Richtungen. Aber wie genau funktioniert eigentlich die Vermittlungsarbeit im Tanz? Wir haben dem Leiter der Sparte Tanz ein paar Fragen gestellt.

Marcel, wie war dein persönlicher Weg zum Tanz?

Ich hatte eine Freundin, die getanzt hat. Ich war in einer Lehre als Zimmermann im dritten Lehrjahr und sie war im Ballettatelier Zürich in der Ballettschule. Dort habe ich sie ab und zu abgeholt. Und da war Elena Della Croce, die dieses Ballett Atelier in Zürich geleitet hat. Und die meinte dann «Mach doch mal mit», und beim nächsten Mal habe ich meine Jogginghose mitgenommen und habe mitgemacht.

Wie alt warst du da?

Da war ich 17. Und das war der Anfang von allem. Und dann ging es ganz schnell. Diese Lehrerin erkannte, dass ich wirklich körperlich talentiert war und die Voraussetzung für Ballett hatte. Und in Zürich war Uwe Scholz am Theater. Das war ein sehr bekannter Choreograph und er hatte eine ganz tolle Kompanie. Ich fing dann auch in der freien Szene an zu tanzen. Ich habe am Bahnhof-Kiosk gearbeitet, um das Geld für die Schule zu verdienen. Mich hat niemand unterstützt, weil alle gesagt haben, «Spinnst du, du bist viel zu alt zum Tanzen». Und dann hab ich Aufnahmeprüfungen für große Schulen gemacht und kam an vielen Orten rein. Schlussendlich bin ich in Stuttgart gelandet. Ich bekam dann ganz schnell ein Stipendium. Ich hatte sehr viel Glück, aber ich habe auch Vollgas gegeben. Das war bei mir so ganz klar: Ich will jetzt tanzen und sonst nichts mehr!

video - Titelbild

Bei uns am Haus bist du nun seit einem Jahr. Die Vermittlung spielt in Deiner Arbeit eine gewichtige Rolle. Auch wenn sich die Vermittlung nicht nur im schulischen Umfeld abspielt und deine Zielgruppe nicht nur Kinder und Jugendliche sind: mit welcher Haltung gehst Du in einen Schulworkshop rein?

Es ist im Prinzip ganz einfach den Kindern was mitzugeben. Ich möchte vermitteln, dass Tanzen etwas ganz Normales ist. Es ist nicht so «artificial» oder so weit weg. Tanzen ist was Körperliches, etwas Gutes und auch etwas sehr Einfaches. Ich habe sehr schnell einen eigenen Stil gefunden und ich denke, die Tatsache, dass ich einmal Zimmermann war und dass ich als Schüler eigentlich auch immer lieber nicht in der Schule, sondern lieber draußen war, hat mir geholfen, auch mit „schwierigen“ Klassen gut in Kontakt zu kommen und Tanzprojekte zu machen.

Welche Ausdrucksformen verwendest du in Deinen Workshops?

Also ich tanze natürlich nicht nur, ich verwende auch sehr gern Sprache und fast immer gibt es auch Musik. Es ist auch ein bisschen therapeutisch, wenn ich das mache: die Kinder müssen zum Beispiel Sachen miteinander erledigen oder aufeinander achtgeben. Da spielen vielen Dinge eine Rolle.

Welche Altersgruppe unterrichtest Du in Deinen Workshops?

Ich habe wirklich schon alles durch. Ich habe sowohl in Kindergärten als auch in Altersheimen gearbeitet. Und genau das ist eben cool. Sehr gut funktionieren auch gemischte Gruppen.

Hast du in diesem ersten Jahr hier und auf Deiner Reise durch zahlreiche Schulen in Tirol tolle Menschen kennengelernt?

Ja, total. Also Stefan [Späti, Co-Leiter Tanz] ist ganz eifersüchtig auf mich, weil er immer fragt: «Wo warst du schon wieder?» [lacht]
Ich sehe es wirklich als meine Aufgabe, diese Vermittlungsarbeit zu machen. Und ich nehme auch oft jemanden aus unserer Kompanie mit. Es ist ein bisschen eine Ansage denke ich, dass ich bereit bin, als Co-Direktor in der Früh in einen Kindergarten zu gehen, bevor hier im Haus die Proben losgehen. Man unterschätzt gern, dass es etwas mit der Stadt und mit dem Theater macht. In Bern, wo ich vorher war, war das genauso. Ich habe da auch sehr viel gemacht und ein sehr großes Netzwerk aufgebaut. Viele Menschen haben mich da aus den Workshops gekannt.

video - Titelbild

Fragen dich die Jugendlichen manchmal, ob du ihnen einen TikTok Tanz zeigen kannst?

Ja, das kann ich. Aber nicht besser als sie. Ich lass mir das dann von ihnen zeigen. Aber sie wollen dann gar nicht unbedingt so was tanzen. Ich hatte auch Projekte, wo ich ein Jahr lang einmal die Woche in eine Schule ging und dann eine Vorstellung erarbeitet hab. Das waren oft Schulen mit einem sehr hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund. Da lernst du natürlich die Kids auch besser kennen. Da gibt es schon spezielle Herausforderungen und Probleme. Und dann ist es auch oft so, dass vielleicht genau dieses eine Mädchen mit Kopftuch super tanzen oder super singen kann. Also ich hole dann meistens die, die vielleicht nicht so in das Schema passen. Kinder die übergewichtig sind, zum Beispiel. Die tanzen meistens sehr gut.

Wohin kann Dich diese Reise in der Vermittlungsarbeit noch führen? Was schwebt Dir vor?

Ich wünsche mir, dass sehr viele Schulklassen zu uns in Proben und in Vorstellungen kommen. Und dass wir viele unterschiedliche Projekte anbieten können.

Wir haben über die Vermittlungsplattform «Kulturtransfair», Kontakt zu unterschiedlichen Sozialvereinen geknüpft, unter anderem zum Verein Neustart, der sich u. a. im Bereich Gewaltprävention engagiert und junge Menschen begleitet, die nach einer Straftat mit einer Fußfessel leben. Wie läuft Deine Arbeit da ab?

Am Beginn standen einige vorbereitende Gespräche und bis jetzt habe ich da zwei Sessions gehabt. Wir treffen uns am Abend und nach einem ersten Rückblick mache ich mit der Gruppe ein paar körperliche Sachen und ich spreche viel mit ihnen. Ich würde die Gruppe gerne im Herbst einmal in eine Vorstellung von uns holen.

Was inspiriert dich an der Arbeit mit Jugendlichen?

Ich habe immer mit Jugendlichen gearbeitet. Ich hatte jahrelang ein Jugendtheater in der Schweiz. Was auch immer ich gemacht habe, das Jugendtheater war eigentlich immer meine Basis. Ich hatte einmal ein Projekt, das hieß Theater kennt keine Grenzen. Da habe ich jedes Jahr ein Riesenstück gemacht mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund und Schweizer Jugendlichen. Das war super. Da hatten wir wirklich eine Gruppe von 40 bis 50 Kids und waren ganz groß in der Stadt präsent. Das inspirierende an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist, dass man da so vieles machen kann, ohne dass es hinterfragt wird. Es wird schon auch hinterfragt, aber halt anders und easy. Ich konnte ganz viele Sachen immer ausprobieren und entwickeln.

Fließt deine Arbeit in der Vermittlung und mit Jugendlichen auch in deine Choreografien oder deine ganz persönliche Tanzsprache ein?

Ich glaube schon, dass ich da ein bisschen damit spiele. Ich habe so viele Entwicklungsphasen hinter mir und ich glaube, in der Art und Weise, wie ich auch mit der Kompanie arbeite, bin ich sehr nah bei den Jugendlichen. Nicht nur weil sie jung sind, einfach weil das meine Art ist, da offen zu sein. Ich bin nicht jemand, der von außen arbeitet, sondern von drin. Ich gehe immer in den Austausch. Ich stell mich nicht mit einer fertigen Choreographie vorne hin und zeige was vor. Das interessiert mich überhaupt nicht mehr.

Was wünschst du dir für die nächste Spielzeit bzw. für die nahe Zukunft? Gibt es eine Vision oder eine Richtung, in die du gerne weitergehen möchtest?

Ich möchte so vielseitig wie möglich bleiben. Dass wir zum Beispiel wirklich Jugendliche mit Schauspieler:innen, mit Tänzer:innen und mit Sänger:innen zusammenbringen und gemeinsam eine Produktion machen.

video - Titelbild

Wir haben nächstes Jahr einen Jugendclub bei uns am Haus, den Du leiten wirst. Was erwartet die Jugendlichen da?

Wir machen ein Stück zum Thema Liebe. Wir wollen da Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren ansprechen und alles selber entwickeln. Ich werde Schreibwerkstätten mit ihnen machen und sie fragen, was sie wollen, wo sie sich verorten, ob sie verliebt sind, was sie sich von der Liebe erwarten. Und dann wird es körperlich sein, tänzerisch, ich werde aber auch mit Texten arbeiten.

Wenn du jemandem erklären müsstest, warum diese kulturelle Vermittlungsarbeit so wichtig ist, was würdest Du antworten?

Ich finde es einfach gut, wenn man als Vertreter einer so großen Institution wirklich in die Schulen geht und ein bisschen was vermitteln kann. Das Musikhören ist z. B. eine schöne Gelegenheit, um „runter zu fahren“. Man erhält eine andere Sichtweise auf Dinge. Und es ist auch gar nicht schlimm, wenn nicht alle Schüler:innen das toll finden, aber meistens funktioniert es bei einigen von ihnen. So wie bei mir. Ich kam auch über Umwege in die Kunst.

 

DIE FRAGEN STELLTE: Martina Natter
FOTOS: Amir Kaufmann

video - Titelbild

Mehr lesen