Nach Jenufa, Das schlaue Füchslein und Die Sache Makropulos steht ab Marz ein weiteres Meisterwerk des bedeutenden tschechischen Musikdramatikers Leoš Janaček auf dem Spielplan des Tiroler Landestheaters: Katja Kabanowa. Die 1921 uraufgeführte Oper, die zum ersten Mal in Innsbruck zu erleben sein wird, „erzählt eine Liebesgeschichte, wie sie in Varianten seit Flauberts Madame Bovary (1856), Tolstois Anna Karenina (1877) oder Fontanes Effi Briest (1894) ein Topos der europäischen Literatur geworden ist: Es ist die Tragödie einer in provinzieller Enge und durch eine Vernunftehe gefesselten Frau; ihr Ausbruchsversuch durch eine Affäre ist Ausdruck seelischer und emotionaler Verzweiflung“, so Hermann Schneider, der Intendant des Landestheaters Linz, der bei Katja Kabanowa Regie führen wird.
Das vom Komponisten selbst verfasste Libretto basiert auf Ostrowskijs Theaterstück Das Gewitter. Dieses spielt in den frühen 1860er Jahren in der russischen Provinz. Der Ort ist erfunden, um so das Allgemeingültige der sozialen und psychischen Situation dieser Zeit kenntlich zu machen. Der Dichter siedelt das Geschehen im Herzen Russlands an, am Ufer der Wolga, die – wie das Land selbst – gerne mit den Beinamen „Mütterchen“ apostrophiert wird. Die Heimat wird also zum Sehnsuchtsort und ersetzt die fehlende familiäre und emotionale Bindung der Protagonistin.
„Katja befindet sich in einem inneren Konflikt:
Sie sehnt sich nach Zuneigung, wird aber von ihren
Angehörigen nicht akzeptiert. Ihre Flucht in eine Affäre lässt
sich jedoch nicht mit ihrem religiösen Bewusstsein vereinbaren.
So bestraft sie sich selbst durch ihren Selbstmord. “
Anna-Maria Kalesidis
In jenen Jahren erfuhr Russland durch die Aufhebung der Leibeigenschaft eine enorme soziale Umwälzung, insbesondere bei der Landbevölkerung. Die Freiheit vieler führte aber in die Unfreiheit aller. Der Landadel verarmte und die jüngere Generation wurde von den Eltern quasi als Ersatz in Leibeigenschaft gehalten. „Dies gelang mit Hilfe von ökonomischer Abhängigkeit, körperlicher und seelischer Gewalt, Alkoholismus und Aberglaube.“
Regisseur Hermann Schneider transferiert in seinem Konzept den für die heutigen (westlichen) Zuschauer kaum verständlichen sozialgeschichtlichen Kontext der 1860er Jahre an das Ende des 20. Jahrhunderts. Damals, beim Zerfall der Sowjetunion, waren die Menschen der russischen Provinz erneut den Mächtigen ausgeliefert – sei es in familiärer oder in finanzieller Hinsicht. „Die Liebe Katjas ist Ausdruck ihrer Sehnsucht nach Freiheit; doch die Zwänge von Gegenwart und Gesellschaft, Moral und Gewalt verhindern ein selbstbestimmtes Leben, das man auch Glück hatte nennen mögen“, resümiert der Regisseur.
Katja Kabanowa
Oper von Leoš Janáček . Text vom Komponisten
nach dem Schauspiel „Das Gewitter“ von Alexander N. Ostrowskij