Zwischen Schicksal und Rationalität

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Max Frischs Homo faber gehört zu den meistgelesenen Werken des 20. Jahrhunderts. In der Bühnenfassung von Volkmar Kamm wird der Identitätskonflikt des Protagonisten neu interpretiert.

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Das Weltbild des Schweizer Ingenieurs Walter Faber ist geprägt von kühlem Rationalismus – so lange, bis das Schicksal ihn einholt und er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen muss. Sein Leben gerät ins Wanken, als er sich in die junge Sabeth verliebt, die Tochter seiner Jugendliebe. Homo faber. Ein Bericht wurde im Jahr 1957 veröffentlicht und schildert die Tragödie eines Mannes, der versucht, das Leben als logische Abfolge zu begreifen. Regisseurin Grit Lukas und Faber-Darsteller Jan-Hinnerk Arnke im Gespräch über die Inszenierung des Literaturklassikers:

Homo faber verfolgt keine klassische Erzählstruktur. Die Geschichte wird mittels Rückblenden erzählt, dazwischen gibt es viele innere Monologe, Zeit- und Ortswechsel. Wie sind Sie damit bei der Produktion des Stücks umgegangen?

Grit Lukas: Wir arbeiten mit der Bühnenfassung von Volkmar Kamm, die eigentlich auch dieser Struktur folgt. Aber das Narrativ ist ein wenig anders aufgelöst. Denn in Kamms Adaption tritt Walter Faber als zwei unterschiedliche Figuren auf – und zwar als Walter und als Faber. Damit sollen die zwei verschiedenen Perspektiven des Protagonisten veranschaulicht werden. Walter nimmt hier die Position des Berichtenden ein, während Faber der Erlebende ist. Die Timeline, von der wir ausgehen, ist die Begegnung mit seiner Jugendliebe Hanna. Von hier leiten sich die Erinnerungen und Rückblenden des Ich-Erzählers immer wieder ab, also eigentlich genau wie im Originaltext.

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Was haben Sie sich für die Gestaltung des Bühnenbilds überlegt, auch mit Blick auf das Genre des Reiseromans?

Lukas: Grundsätzlich wollten wir sehr technisch vorgehen und damit den Rationalismus widerspiegeln, der ja sehr charakteristisch für die Figur des Walter Faber ist. Deshalb haben wir zum Beispiel versucht, viel Eisen in das Bühnenbild zu integrieren. Wir benutzen auch die Drehscheibe und den eisernen Vorhang – um mit diesem Diskurs auch visuell so viel wie möglich zu spielen. Bezüglich der einzelnen Stationen, die vom Roman vorgegeben werden – die Wohnung von Hanna, das Schiff, das Krankenhaus –, hat unsere Bühnenbildnerin Claudia Weinhart ein spezielles Konstrukt gefertigt, mit dem alle Stationen szenisch gut dargestellt werden können. Die Orte sind aber nicht konkret ausformuliert. Es ging uns mehr darum, abstrahierte Bilder zu schaffen und dem Publikum so eine eigene Projektionsfläche zu ermöglichen.

Sie haben mit den Proben bereits Anfang 2020 begonnen. Aufgrund von Corona musste dann alles kurzerhand gestoppt werden. Inwiefern hat diese Situation das Stück beeinflusst?

Lukas: Das hat uns natürlich ein bisschen überrollt, aber wir haben diese erzwungene Pause auch als Chance gesehen, manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ich bin inzwischen Mutter geworden und habe dadurch zum Beispiel Hanna ganz neu für mich entdeckt. Sie stellt eine unglaublich starke Frauenfigur dar, die es als alleinerziehende Mutter dennoch schafft, ihre Karriere zu verfolgen und sehr viel von der Welt zu sehen. Etwas, das ich sehr beeindruckend finde und vorher nicht so stark bemerkt habe. Das sind spannende Perspektivenwechsel, die einem Stück immer wieder neuen Aufschwung geben können.

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Herr Arnke, Sie spielen in dem Stück die Figur des Faber, also den erlebenden Part von Walter Faber. Wie war es für Sie, eine Rolle so lange liegen lassen zu müssen?

Jan-Hinnerk Arnke: Mir ging es hier ähnlich. Auch ich denke, dass eine Figur durch so eine Situation reifen kann. Weil alles in den letzten zwei Jahren so unübersichtlich war, haben wir eine ganz neue Art der Zusammenarbeit entwickelt. Plötzlich haben wir über Zoom geprobt, das hätten wir uns früher gar nicht vorstellen können. Was dabei für uns auch spannend war: Dadurch haben wir uns ständig mit dem Technikdiskurs auseinandergesetzt, der bei Max Frisch so dominant und für die Figur Faber von großer Bedeutung ist.

„Es ist wie eine Art Spagat. Zwei Schauspieler
bekommen hier die Möglichkeit, die Facetten
einer einzelnen Figur auszuloten.“

Jan-Hinnerk Arnke

Wie darf man sich die zwei Figuren Walter und Faber vorstellen, welche Beziehung haben sie zueinander?

Arnke: Es ist wie eine Art Spagat. Zwei Schauspieler bekommen hier die Möglichkeit, die Facetten einer einzelnen Figur auszuloten. Wir haben zunächst versucht, die rationale und die emotionale Seite von Walter Faber auszulagern, aber mit der Zeit haben wir festgestellt, dass diese klassischen Zuordnungen so gar nicht funktionieren. Letztendlich sind es zwei Figuren, die zusammengehören und miteinander offen über die letzten 20 Jahre ihres Lebens diskutieren können. Ich würde sagen, Walter und Faber, das ist wie eine Hassliebe. Sie spiegelt etwas wider, das wir alle kennen und in uns tragen – diese wechselnden Gefühle gegenüber sich selbst.

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Wie würden Sie die Beziehung zwischen Walter, Faber und den zwei Frauenfiguren – Hanna und Sabeth – definieren?

Arnke: Es gibt eine spannende Szene, in der klar wird, wie unterschiedlich die zwei Männer Hanna und Sabeth sehen. Der eine ist vollkommen fasziniert von Hanna und ihrer starken Persönlichkeit, während der andere sich zu ihrer Tochter Sabeth hingezogen fühlt. Man kann sich natürlich fragen, warum. Walter Faber steckt mitten in einer Midlife-Crisis. Er trennt sich von seiner Partnerin und wird in eine Reihe schicksalhafter Ereignisse verwickelt. Sabeth stellt sein Leben dann nochmals komplett auf den Kopf und steht für ihn wohl für die Möglichkeit einer Verjüngung. Sie ist das Symbol für den Aufbruch. Hier wird vielleicht auch ein thematischer Gegensatz zur Rationalität deutlich, und zwar dieser Reiz, der von Kultur und Schönheit ausgeht.

Interview: Natalie Hagleitner
Fotos: Birgit Gufler


Homo faber

Ein Bericht von Max Frisch . Bühnenfassung von Volkmar Kamm

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