Von Kreaturen und besseren Menschen

   Blogbeitrag

Ein sexueller Übergriff als Symptom der patriarchalen Gesellschaft und drei Frauen, die nach einem Ausweg suchen: Gute Geständnisse besserer Menschen setzt sich mit der Form des Unaussprechlichen auseinander, um Traumata und Bewältigungsstrategien erfahrbar zu machen.

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Wann fühlt man sich selbst so entmenschlicht, dass man vom Opfer zum Täter wird? Wenn das System versagt, Opfer als solche wahrzunehmen, werden sie selbst zu den Kreaturen, die sie zuvor noch verachtet haben. Im Stück Gute Geständnisse besserer Menschen werden Themen wie dieses auf abstrakter Ebene verhandelt. Der Innsbrucker Regisseur Peter Lorenz spricht über Grenzüberschreitungen und seinen Versuch, den sprachlich experimentellen Text der Wiener Autorin Gerhild Steinbuch als zeitgenössisches Drama erstmals auf die Bühne zu bringen.

„Man muss sich wie ein Detektiv
durch den Text arbeiten, was viele Möglichkeiten
für unsere künstlerische Arbeit bietet.“

Peter Lorenz

Wie würden Sie den Text von Gerhild Steinbuch definieren?

Peter Lorenz: Das ist gar nicht so einfach. Der Text ist eine Collage aus abstrakten, aber auch sehr konkreten Phrasen eines Täter-Opfer-Geflechts, die sprachlich geschickt miteinander verwoben sind. Beim ersten Lesen erschließt sich auch nicht sofort ein konkreter Sinn. Es gibt keine definierten Szenen oder Figuren – das empfinde ich als unglaublich spannend. Denn so muss man sich wie ein Detektiv durch den Text arbeiten, was wiederum viele Möglichkeiten für unsere künstlerische Arbeit bietet.

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Wie sind Sie bei der Produktion des Stücks mit der fragmentarischen Form des Originals umgegangen?

Lorenz: Um den Text zu entschlüsseln, haben wir ein Narrativ gebaut, das wie eine Art Linse fungieren soll. Wir haben uns also eine konkrete Geschichte überlegt, die wie ein Krimi aufgebaut ist. Um das Ganze fürs Publikum so greifbar wie möglich zu gestalten, haben wir uns außerdem dazu entschieden, drei Frauenfiguren auftreten zu lassen, die auch nicht vom Original gestellt wurden. Inhaltlich geht es dabei um einen sexuellen Übergriff am Arbeitsplatz – eine Tat, die aber kein Einzelfall bleibt und als Grenzüberschreitung in den Fokus gerückt wird. Die Verbrechen werden zum Verbindenden zwischen den drei Figuren, die von der Gesellschaft nicht ernst genommen und als Resultat selbst Teil des Täter-Opfer-Kreislaufs werden.

Was meinen Sie genau mit Täter-Opfer-Kreislauf?

Lorenz: In unserem Narrativ gibt es einen Wendepunkt, an dem die Opfer wortwörtlich zu Täter*innen werden und so die moralischen Grenzen verschwimmen. Grundsätzlich geht es dabei um die Überlegung, was passieren muss, damit ein Mensch, der Unrecht und Gewalt erfahren hat, irgendwann so weit geht, selbst Gewalt auszuüben. Wir stellen uns diese Frage mit konkretem Blick auf Sexualstraftaten. Unsere Opfer im Stück – die drei Frauen – beginnen, sich aus Notwendigkeit selbst zu unterstützen. Sie versuchen, Wege zu finden, um mit dem Erlebten umzugehen. Die Verhandlungsstrategien können dabei vom Austausch gemeinsamer Erinnerung über Selbstverteidigungstraining bis hin zur Selbstjustiz reichen. Und das ist der Punkt, wo es für mich auch extrem spannend wird, wenn die moralische Ambivalenz so offenkundig wird.

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Welche visuelle Strategie haben Sie verfolgt?

Lorenz: Wir haben versucht, viel mit der Form des Textes zu spielen. Sprachlich wird hier ganz viel dargestellt, ohne wörtlich zu beschreiben – unter anderem Gewalt. Uns ging es vor allem darum, diese Muster aufzugreifen und in andere Formate zu übersetzen. Gewalt muss auch auf der Bühne nicht unbedingt gezeigt werden. Man kann stattdessen mit Bildern oder Geräuschen arbeiten und so Indizien auf verschiedenen Sinnesebenen geben. Das Publikum baut sich den Rest dann im Kopf selbst zusammen. Grundsätzlich beschreibt das auch das Gesamtkonzept. Es soll in dem Stück nicht nur um das kognitive Verstehen, sondern auch um das sinnliche Erfahren gehen. Um die Natur als Rückzugsort aus der alltäglichen Routine atmosphärisch darzustellen, arbeiten wir zum Beispiel mit Baumstämmen, Waldgeruch und verschiedenen Klangbildern. So wollen wir das Publikum an einen Text heranführen, der auf klassische Szenen und Rollenbilder verzichtet, aber thematisch höchst relevant ist.

Interview: Natalie Hagleitner
Fotos: Birgit Gufler


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