Musik für spätere Zeiten

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Der Dreißigjährige Krieg war ein verheerender Konflikt, der von 1618 bis 1648 in Europa tobte. Er wurde hauptsächlich auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ausgetragen und involvierte viele europäische Mächte. Der Krieg war durch religiöse Spannungen, territoriale Machtkämpfe un

«Die Geschichte ist oft wie ein hinkender Mann,
sie kommt langsam, aber sie kommt.»

Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen

An luziden Aussprüchen mangelt es Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Schelmenroman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch aus dem Jahr 1669 nicht. Der deutsche Komponist Karl Amadeus Hartmann nutzt das Werk als literarische Vorlage für seine Oper Des Simplicius Simplicissimus Jugend, die als humanistisches Manifest eingeordnet werden kann. In den Zwischenkriegsjahren und unter dem direkten Eindruck der Machtergreifung Adolf Hitlers 1934-1936 komponiert, thematisiert das Stück die Zerstörung und Verrohung der menschlichen Natur in einer Zeit politischer Unruhen und religiöser Konflikte. Am Tiroler Landestheater kommt die Opernrarität im Frühling 2024 in der Regie von Eva-Maria Höckmayr auf die Bühne.

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Die literarische Grundlage

Der Roman Der abenteuerliche Simplicissimus Teutsch ist ein Schlüsselwerk der deutschen Barockliteratur. Die Handlung folgt dem Lebensweg des Titelhelden Simplicius, der in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges aufwächst. Die Geschichte beginnt mit der idyllischen Kindheit von Simplicius auf dem Land, doch sein Leben wird alsbald durch den Krieg und die daraus resultierenden Konflikte und Lebensumstände stark geprägt. Auf der Suche nach Antworten zu den Ursachen für das Elend um ihn herum erlebt er eine Vielzahl von Abenteuern, die ihn durch verschiedene gesellschaftliche Schichten und in unterschiedliche Regionen der Welt führen. Über Stationen als Soldat, Forscher, Scharlatan und Galeerensklaven wird Simplicius vom naiven Optimisten zu einem skeptischen und weltgewandten Menschen, während er mit den Grausamkeiten des Krieges, religiösen Konflikten und politischen Intrigen konfrontiert wird. Schlussendlich wird Simplicius zum Einsiedler und schreibt seine Erfahrungen nieder, die als Spiegelbild der Gesellschaft und der grausamen menschlichen Abgründe während dieser Epoche fungieren.

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Musik für spätere Zeiten

Der Antifaschist und Humanist Karl Amadeus Hartmann nutzt in seiner Oper den Stoff zur kritischen Auseinandersetzung mit den politischen und sozialen Zuständen seiner Zeit. Des Simplicius Simplicissimus Jugend wird so zu einem künstlerisch-politischen Statement gegen die aufkommende nationalsozialistische Ideologie in Deutschland. Hartmann selbst schildert die Auseinandersetzung mit dem Roman: «(…) die Zustandsschilderungen aus dem Dreißigjährigen Krieg schlugen mich seltsam in Bann. Wie gegenwärtig kam mir das vor:

«Die Zeiten sein so wunderlich, daß niemand wissen kann,
ob du ohn Verlust deines Lebens wieder herauskommest.» 

Karl Amadeus Hartmann

« … Da war der einzelne hilflos der Verheerung und Verwilderung einer ganzen Epoche ausgeliefert, in der unser Volk schon einmal nahe daran gewesen ist, seinen seelischen Kern zu verlieren. Und nirgends war Rettung als nur in dem, was das Gemüt des einfachen Menschen dagegen aufbrachte.» Aus Protest gegen die menschenverachtende Agenda der Nationalsozialistin verbot Hartmann die Aufführung seiner Werke in Deutschland und versteckte auch die Partitur dieser Oper in einem Zinkkasten in seinem Garten. Die Uraufführung der Konzertfassung fand schließlich am 2. April 1948, dirigiert von Hans Rosbaud im Rahmen einer Radiosendung des Bayerischen Rundfunks, statt. Die szenische Uraufführung erfolgte 1949 an den Kammerspielen der Bühnen der Stadt Köln.

1956 überarbeitete Hartmann die Oper und reduzierte den gesprochenen Textanteil und fügte symphonische Stücke hinzu, welche dem Werk bei aller inhaltlichen Schonungslosigkeit auch optimistische Farben verleihen – allerdings in einem weit komplexeren Sinn als die anfängliche Naivität seines Protagonisten: «Hält man der Welt den Spiegel vor, sodass sie ihr grässliches Gesicht erkennt, wird sie sich vielleicht noch einmal eines Besseren besinnen. Trotz aller politischen Gewitterwolken glaube ich an eine bessere Zukunft: Das soll die Schluss-Apotheose in meinem Simplicius ausdrücken.», so Hartmann.


DES SIMPLICIUS SIMPLICISSIMUS JUGEND

Bilder einer Entwicklung aus dem deutschen Schicksal nach Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen von Karl Amadeus Hartmann (Urfassung) / Idee und Szenarium ­von ­Hermann Scherchen, Text von ­Wolfgang Petzet und Karl ­Amadeus Hartmann 

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