1905 – Im selben Jahr, in dem der Schah von Persien Innsbruck besuchte und der Thronfolger Franz Ferdinand sich im Schloss Ambras einen Sommersitz einrichtete, siedelt die preisgekrönte Schwazer Autorin Lisa Wentz ihre Überschreibung von Eugene O’Neills Gier unter Ulmen an.
Die Umgebung, in der sie Verlangen verortet, ist jedoch weit weniger mondän. Sie verlegt die Handlung des 1924 uraufgeführten Stoffes, um drei Brüder, die mit ihrem Vater um das Erbe eines Bergbauernhofes kämpfen, von der harschen Ostküste Amerikas ins ländliche Tirol.
Patriarchal in Extremform ist die Familienstruktur der Cabots, die nur noch aus dem Vater Ephraim und den Brüdern Peter, Simon und Eben besteht. Die ersten beiden Frauen des 70-Jährigen sind tot, inzwischen ist er selbst alt geworden.
«Wenn ich könnt, in der Stund’
in der ich sterb, ich würd’s alles
anzünden um’s brennen z’sehen.
Dieses Haus und jede Ähre Korn
und jeden Baum bis hin zum letzten
Halm Stroh. Ich würd da sitzen
und wissen, dass alles mit mir
stirbt und niemand würd’ jemals
besitzen, was das Meinige war,
was ich geschaffen hab aus
nichts mit meinem eigenen
Schweiß und Bluat.»
Stückzitat
Aus Angst vor dem Tod nimmt er sich noch einmal eine jüngere Frau, Agnes, die in dieser männerdominierten Welt um ihren Platz kämpft. Unterdessen streiten die Söhne um das absehbare Erbe, das der alte Cabot nicht loslassen will. Ganz weit weg winkt der Westen Amerikas mit der Hoffnung auf Gold und Peter und Simon machen sich, nachdem ihr jüngerer Halbbruder Eben sie mit dem versteckten Geld seiner verstorbenen Mutter auszahlt, auf den Weg über den Atlantik.
Zwischen Agnes und Eben, der eigentlich ein Verhältnis mit der alleinstehenden, deutlich älteren Mina hat, entwickelt sich eine Begierde, die schlussendlich in einer Katastrophe mündet.
«Für mich ist Verlangen eine Geschichte
über das Ende der Ära der mächtigen alten
Männer. Die zentrale Frage: Wer tritt die
Nachfolge an, im Kampf um das Erbe? Und
es ist die Geschichte von zwei Frauen, die in
dieser Welt ihren Platz beanspruchen.»
Cilli Drexel, Regisseurin
Lisa Wentz findet für die Figuren und das steinerne, lebensfeindliche Umfeld, dem sie ihr Auskommen abtrotzen, eine besondere Sprache, die gepaart mit der amerikanischen Dramaturgie des Stoffes einen Hyperrealismus erzeugt und die Wechselwirkung des steinernen Umfelds mit den inneren Zuständen der Protagonist:innen eindringlich werden lässt. Dabei spinnt sie die Geschichte einiger Figuren weiter und stellt anhand des existenziellen Verteilungskampfes die Frage nach der Vielgesichtigkeit des Verlangens: Nach Besitz, nach Teilhabe, nach Liebe.
VERLANGEN
von Lisa Wentz, Schauspiel frei nach Desire under the Elms von Eugene O’Neill
in einer Übersetzung von Lisa Wentz / Auftragswerk des TLT